Der Grazer Gemeinderat Ernest Schwindsackl im Interview über Pensionopolis, Vereinsamung und das Sicherheitsgefühl der Grazer.
Ernest Schwindsackl
Grazer Gemeinderat
Wie viele Senioren leben eigentlich in Graz?
Bei uns leben derzeit 64.000 Grazer, die älter als 60 Jahre sind. Bei bald 300.000 Einwohnern ist das schon ein großer Anteil.
Ist also Graz noch immer Pensionopolis?
Nein, ganz sicher nicht, das hat sich in den letzten 30 Jahren stark geändert! Graz hat doch einen unglaublichen Aufschwung als Universitäts- u. Kulturstadt genommen, es hat ein ausgesprochenes jugendliches Flair bekommen. Aber natürlich ist es wichtig, die älteren Mitbürger in das neue Graz entsprechend zu integrieren.
Heißt das im Umkehrschluss, dass die Senioren nicht genug ins Grazer Stadtleben integriert sind? Wo sind hier die Problemfelder?
Ich will das lieber umdrehen und zunächst herausarbeiten, was alles für diese Gruppe getan wird. Die Infrastruktur von den Alters- und Pflegeheimen bis hin zu den mobilen Einrichtungen ist wirklich sehr gut ausgebaut. Die SeniorInnen-Card der Stadt Graz bietet viele interessante Ermäßigungen im Freizeit- und Kulturbereich. Was sehr gut funktioniert, ist das Café Graz. Das ist einmal im Monat an einem Sonntag ein sehr netter Nachmittag. Da unterhält die Stadt ältere Leute mit einem Programm. Bei freiem Eintritt sind das nette zweieinhalb Stunden. Allerdings sehe ich hier auch einen Erneuerungsbedarf. Die alte Kaiserzeit oder der Nestroy interessieren 60-Jährige, die die Beatles, Rock n‘ Roll und Computer kennen, nicht mehr so sehr. Wir haben da eine andere Generation, die uns so wichtig ist wie die über 80-Jährigen oder die derzeit 47 über 100-jährigen Grazer.
Und die Problemfelder? Es ist viel von Altersdiskriminierung die Rede, wenn Senioren von den Versicherungen schlechter behandelt werden als Jüngere oder wenn bestimmte Operationen oder Therapien für Ältere nicht mehr vorgesehen sind.
Dieses Thema muss auf den Tisch kommen! Deshalb befasst sich der Grazer Seniorenbund damit. Das ist ein heikles Thema, das nicht alle angehen wollen. Der Seniorenbund ist aber von niemandem abhängig und darum gehe ich dieses Thema an. Außerdem binde ich bei der Enquete zum Thema ¨Altersdiskriminierung“ am 22. März 2018, 10:00 Uhr auf der Murinsel (freier Eintritt!) das Sozialamt der Stadt Graz, die Sektion der Banken und Versicherungen in der Wirtschaftskammer, die Antidiskriminierungsstelle des Landes Steiermark und die Ärztekammer ein. Es gibt nämlich Fälle, dass älteren Patienten Medikamente nicht mehr verschrieben werden. Mir geht es darum, dass man das bewusstmacht, auch mit Hilfe der Medien.
Von älteren Grazern hört man auch Klagen, dass die Nahversorgung immer schlechter wird.
Ja, das wird zunehmend ein Thema. Früher hatten die Leute den Greißler um‘s Eck, heute müssen sie in ein Einkaufszentrum fahren, haben aber das Auto schon abgemeldet oder den Führerschein abgegeben. Jetzt sind sie abhängig. Natürlich gibt es wieder mehr Hauszustellung, aber es ist für die Menschen ein Thema, um das wir uns kümmern müssen.
v.l.n.r. Mag. Martin Binder, Wirtschaftsprüfer
Dr. Michael Kropiunig, Vizepräs. der Stmk. Rechtsanwaltskammer
BM a.D. Vizerektorin Univ. Prof. Mag. Dr. Beatrix Karl
Stadtgruppenobmann GR Ernest Schwindsackl
Dr. Dieter Kinzer, Notariatskammerpräsident Steiermark
Wie ist es um die Sicherheit für Senioren in Graz bestellt?
Voriges Jahr hatten wir diese bedenklichen Überfälle, der Täter ist jetzt endlich vor Gericht. Sorgen machen uns allerlei betrügerische Tricks, etwa, wenn sich jemand als Nichte oder Neffe ausgibt, um von älteren Menschen Geld herauszulocken. Da muss jeder wachsam sein. Sehr hilfreich ist in diesem Zusammenhang die Broschüre „Grauer & Schlauer“ mit praktischen Tipps, wie man sich vor Einbrüchen oder Betrugsfällen schützt oder wie es auf der Straße am sichersten ist. Ich habe gerade im Gemeinderat einen Antrag eingebracht, dass die Stadt auf den Straßen mehr auf die Bedürfnisse von Senioren eingeht. Das wären längere Ampelphasen für Fußgänger, Ruhepunkte auf den Gehsteigen oder Maßnahmen, dass man Bordsteinkanten besser sieht. Meine Forderung nach einer 30 km/h Geschwindigkeits-Beschränkung vor Alters- und Pflegeheimen sowie Krankenhäusern wurde im Gemeinderat einstimmig angenommen!
Nicht nur Senioren klagen, dass sie sich in den Parks nicht mehr so sicher fühlen wie früher. Was ist zu tun?
Ja, die Senioren gehen gerne spazieren, jedenfalls bei Tag, in der Nacht ohnehin nicht mehr. Da muss mehr getan werden. Die Stadt Graz baut auf die Kooperation mit dem Verein Gemeinsam.Sicher der Polizei. Es gibt in der Keplerstraße 25 das Sinfo, das Sicherheitinformationszentrum, wo jeder eine gute Auskunft in Sicherheitsfragen bekommt. Jeden Montag um 14 Uhr gibt es einen eigenen Sicherheitsschwerpunkt für Senioren. Allerdings wird das nicht sehr stark angenommen, muss ich leider sagen.
Woran kann das liegen? Haben die Grazer Senioren kein Interesse an der eigenen Sicherheit?
Ich möchte sagen, es gibt nicht nur die Bringschuld der Einrichtungen, dass sie die Bürger über ihre Leistungen informieren. Es gibt auch eine Holschuld der Betroffenen. Man muss aber auch sagen, dass die heute 60- bis 70-Jährigen schon sehr versiert mit dem Computer und dem Internet sind. Sie holen sich oft selbstständig Informationen, zum Beispiel, was die Sicherheit angeht.
Viele ältere Grazer vereinsamen immer mehr. Ist das ein Thema für die Seniorenpolitik?
Das ist ein Problem im städtischen Bereich, weniger auf dem Land. Die Leute sind in ihren Wohnungen, sie verlassen sie kaum noch. Die Nachbarn wissen oft gar nicht, wer da hinter einer Wohnungstür ist. Schwierig ist es bei einem Ehepaar, wenn einer der Partner stirbt. Die Kinder sind oft berufstätig, haben keine Zeit oder leben oft woanders. Wir, die ganze Gesellschaft, müssen uns diesem Problem widmen und diese Vereinsamung bekämpfen.
Die meisten Senioren sind heute in jeder Hinsicht viel mobiler als noch vor einigen Jahrzehnten. Glücklicherweise fahren sie bis ins hohe Alter Auto, treiben Sport, machen Reisen, surfen im Internet. Wie muss die Politik mit diesem Wandel umgehen?
Richtig! Deshalb geht es mir besonders darum, die Jüngeren unter den Senioren anzusprechen. Die leben ein ganz anderes Leben als die 65-Jährigen vor 30 Jahren, die waren doch alte Leute. Mit diesem Wandel muss man mitgehen und da sehe ich eine große Aufgabe der Seniorenvertretungen. Die dürfen auch nicht stehenbleiben. Diese sind auch gefordert, innovative, gut gelaunte und engagierte Damen und Herren, die sich als Seniorenvertreter ehrenamtlich zur Verfügung stellen, ausfindig zu machen!
Fotos: Ernest Schwindsackl
Beitrag veröffentlicht am 7. März 2018.