Politik-Montag: Doris Kampus – Dort hinschauen wo es nicht gut läuft

Zur Sorge Corona kam auch die Sorge Inflation. Mag. Doris Kampus (54), die Soziallandesrätin der Steiermark, hat besonders die Schwächsten in der Gesellschaft im Visier.

Die ältere Generation hat schon seit zwei Jahren mit der Corona-Pandemie zu kämpfen. Was macht das mit den Menschen?

DORIS KAMPUS: Was die sozialen und psychologischen Aspekte betrifft, machen mir zwei Gruppen besonders Sorge. Das sind die Kinder und die Jugendlichen und natürlich die älteren Menschen. Das sieht man auch in der Seniorenstudie von Abenteuer Alter, zu der ich nur gratulieren kann. Auch wenn diese Ergebnisse sich auf die Zeit vor der Pandemie beziehen, zeigen sie, wie groß das Thema Einsamkeit bei den Älteren ist. Ich freue mich, dass diese Studie zeigt, wie viele ältere Steirerinnen und Steirer sich wohlfühlen und dass es ihnen gut geht. Aber mein Job als Soziallandesrätin ist es, dort hinzuschauen, wo es nicht so gut läuft.

Glauben Sie, die Befragten stellen ihre Befindlichkeit besser dar als sie ist?

KAMPUS: Viele in dieser Generation geben nicht so gerne zu, dass es ihnen nicht so gut geht. Ich glaube, unsere gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe muss es sein, da hinzuschauen. Wenn man die Oma fragt, wie geht es dir, sagt sie: ‚Passt schon, passt schon‘. Das sagt sie sogar, wenn etwas nicht mehr passt. Ich glaube, diese Gruppe ist unter Corona eher größer geworden. Die Menschen haben sich ein Stück zurückgezogen. Das macht mir große Sorgen.

Braucht es vielleicht neue Wege, um in dieser Situation an die Seniorinnen und Senioren heranzukommen?

KAMPUS: Ich bin kein ausgesprochener Fan der neuen Medien, aber sie sind schon auch eine Chance, wie man noch teilhaben kann. In den Familien hat das geholfen, indem die Großeltern über Whatsapp trotz Lockdown etwas Verbindung mit den Enkeln hatten. Das macht viel aus, dass man auch die ältere Generation auf diese Weise einbindet. Auch die Seniorenverbände haben sich darauf eingestellt. Sie bieten jetzt Schulungen und Kurse an, damit sich diese Welt für alle öffnet. Wir beteiligen uns da durch die Finanzierung etwa des Seniorenbeirates oder von Computerkursen.

Zur Sorge wegen Corona ist für viele Menschen die Sorge um’s Geld gekommen, weil die Inflation so stark geworden ist wie seit vielen Jahren nicht mehr. Wie sehen Sie das?

KAMPUS: Die Teuerungswelle trifft die Älteren doppelt hart. Wir haben Zahlen dazu, die mich betroffen machen, weil die Teuerung vor allem die Gruppe 60+ sehr trifft. Wir haben zum Glück zwei Instrumente, mit denen wir das teurer gewordene Wohnen unterstützen, die Wohnunterstützung und der Heizkostenzuschuss. Bei der Wohnunterstützung sind mehr als die Hälfte der 8.000 Bezieher Pensionistinnen und Pensionisten. Das finde ich ganz schlimm. Beim Heizkostenzuschuss sind es mehr als zwei Drittel von fast 9.000. Wir haben den Heizkostenzuschuss von 120 auf 170 Euro erhöht, um dagegenzuhalten, aber da braucht es auch andere Bemühungen, zum Beispiel bei der Höhe der Pensionen.

Die Älteren wissen aus ihrem Leben, was Inflation ist, die jüngeren Generationen aber nicht. Hilft dieses Wissen etwas?

KAMPUS: Die, für die ich mich zuständig fühle, also MindestpensionistInnen oder BezieherInnen der Ausgleichzulage, sind ganz besonders betroffen. Wir brauchen im Sozialsystem mehrere Stellschrauben, einen Teil davon machen wir in der Steiermark mit diesen Hilfen beim Wohnen und Heizen und in anderen Bereichen. Wir brauchen aber auch eine Bundesregierung, die bei den Pensionen hinschaut. Und es ist verstörend, dass es noch immer und massiv zur Diskriminierung der Älteren kommt, nur auf Grund von Alter. Bei den Banken fragen sie, braucht man im Alter wirklich unbedingt einen Kredit? Aber auch in dieser Generation hat man zum Glück viele Wünsche, aber auch Notwendigkeiten. Man muss ein Bad umbauen oder andere altersgerechte Investitionen vornehmen. Was es im Bereich der Banken und Versicherungen immer noch an Altersdiskriminierung gibt, ist unglaublich.

Zu den Leistungen Ihres Ressorts gehört auch die Seniorenurlaubsaktion. Wie ist die unter Corona-Bedingungen gelaufen?

KAMPUS: Wie andere Entwicklungen. 2020 durften wir es gar nicht anbieten wegen der Corona-Lage. 2021 haben wir es wieder angeboten, aber die Nachfrage war schaumgebremst. Wir hätten mehr Plätze für diese Urlaube gehabt als in Anspruch genommen wurden. Ich schätze diese Möglichkeit sehr und treffe mich mit den Leuten und plaudere gern mit ihnen. Da gibt es teilweise Gruppen aus den Bezirken, wo man sich untereinander schon kennt. Ganz viele sind im Vorjahr aber nicht mitgefahren, weil sie sich nicht getraut haben. Für mich wäre es das Schlimmste, würde das so bleiben.

Die Seniorenstudie von Abenteuer Alter hat ergeben, dass viele dieser Altersgruppe noch arbeiten. Was halten Sie davon?

KAMPUS: Ich befürchte, diese Medaille hat zwei Seiten. Es gibt eine Gruppe, die das nicht ganz freiwillig macht, weil ihre Pension zu gering ist, um den Lebensstandard halbwegs zu halten. Das gefällt mir nicht, weil eigentlich sollten die Pensionen in Österreich für Menschen, die so lange gearbeitet haben, so sein, dass man gut  davon leben kann. Natürlich kommt noch die Frauenproblematik dazu: Sie haben weniger Versicherungsjahre, die Kinder betreut, und oft nur halbtags gearbeitet. Die andere Seite der Medaille sagt: ‚Jetzt bin ich Anfang 60, eigentlich geht es mir super, aber ich würde gerne noch Anteil haben und ich mache nebenher noch was‘. Das finde ich super. Und dazu kommt, dass wir jetzt auf dem Arbeitsmarkt die Chance, ein besonderes Zeitfenster, haben. Bisher hat es immer mehr Angebot als Nachfrage gegeben und jetzt ist daserstmals anders. Die Betriebe suchen händeringend Leute und jetzt haben erstmals auch Menschen der Generation 50+ eine realistische Jobchance.

Der Pflegenotstand wegen des Personalmangels in Spitälern und Heimen ist ein großes Problem, das zum Teil auch in Ihre Zuständigkeit fällt. Was muss geschehen, dass die Pflege gerade für die Älteren nicht zusammenbricht?

KAMPUS: Gemeinsam mit meiner Kollegin Juliane Bogner-Strauß bringen wir da einiges weiter. Wir haben schon vor fünf Jahren eine Pflegestiftung ins Leben gerufen, die hat schon 1.500 Arbeitslose ausgebildet oder sie sind in Ausbildung. Der Bedarf steigt nicht nur wegen der demografischen Entwicklung, sondern zum Beispiel auch deshalb, weil viele Pflegende am Ende ihrer Kräfte sind und eine Auszeit brauchen.

Beitrag veröffentlicht am 06.04.2022
© Peter Drechsler
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