Erinnern Sie sich an Helga Konrad? In den 1980er-Jahren wollte die damalige Ministerin darauf aufmerksam machen, dass nicht nur Frauen die unbezahlte Arbeit in Haus und Pflege übernehmen sollen. Sie erntete viel Spott, ihre Kampagne wurde eingestampft. Was macht sie heute?
Frau Konrad, wie geht es Ihnen mit der aktuellen Politik?
Konrad: Ich muss schon sagen, dass ich mir in der Corona-Debatte oft gewünscht hätte, offiziell mitmischen zu dürfen, vor allem bei Themen, die ältere Menschen betreffen. Hier scheint mir vieles überzogen, vor allem die Angst- und Panikmache. Ich maße mir nicht an zu wissen, was richtig wäre. Aber die Regierung hätte besser hinhören und Argumente der Anderen aufnehmen können. Das ist ja das Wichtigste in der Politik und das fehlt immer mehr.
Wie geht es Ihnen mit „Ihren“ Frauenthemen von damals?
Es gibt einen starken Rückfall in traditionelle Muster, da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Vielfach bestimmen immer noch Männer, was wichtig ist. Ich habe immer gesagt, dass es zwar verbale Anerkennung dieser Themen gibt, bei gleichbleibender Verhaltensstarre. Das ist noch immer so. Das Halbe / Halbe damals hat vielen nicht gepasst, das war auch ein Grund, weshalb ich wegmusste und die Kampagne abgedreht wurde. Das verstehe ich noch immer nicht, denn es ging und geht ja nicht ums Abwaschen daheim, sondern um eine gerechtere Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit.
„Vielfach bestimmen immer noch Männer, was wichtig ist.“
Wozu ja auch Abwaschen gehört.
Ja. Es geht aber auch um die Wirtschaft, dieser Teil lässt noch immer aus, Frauen haben hier nach wie vor Nachteile. Um das Problem zu lösen, braucht es möglicherweise Arbeitszeitverkürzungen, aber wehe, man kommt mit dieser Idee! Es ist nicht das Problem der Frauen, es geht darum, dass Frauen und Männer Familie haben wollen und da muss man einfach überlegen, welche Lösungen sinnvoll sind. Und das ist nie nur eine Maßnahme.
Wie hat die Öffentlichkeit damals auf Ihre Kampagne reagiert?
Es wurden schon blöde Witze gemacht, es gab sogar Frauen, die sagten, „jetzt nimmt sie uns die Küche auch noch weg!“, Männer, deren Frauen ihnen den Rücken frei gehalten haben, damit sie Karriere machen können, haben dagegen protestiert und seitens der Medien gab es auch nur wenige, die verstanden haben, worum es geht und mich unterstützt haben. Was mich freut, ist, dass man heute dem Thema Beruf und Familie größere Aufmerksamkeit widmet. Abgesehen davon sprechen ja die Zahlen für sich, immerhin haben Frauen in der Pension um 40 Prozent weniger Geld zur Verfügung. Um das zu ändern, ist die Politik gefordert.
Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Thema Menschenhandel. Das ist ein Begriff mit vielen Bildern. Wollen Sie ihn bitte definieren?
Das sind sexuelle Ausbeutung, aber auch Arbeitsausbeu- tung etwa in der Landwirtschaft, am Bau, wo Migranten und Migrantinnen in oft mafiaähnlichen Strukturen ausgebeutet werden. Oder Kinder, die zum Betteln gezwungen werden. Auch ist die illegale Organentnahme ein großes Problem, wo sogar Ärzte und Spitäler mitmachen, wobei das „Recruitment“ in einem ganz anderen Land stattfindet. Vielfach ist das ein Netzwerk an Kriminellen, die über Länder hinweg zusammenspielen. Unternehmer argumentieren oft, dass zumindest die erwachsenen Menschen freiwillig arbeiten. Freiwillig oder nicht, das ist wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Es gibt trotzdem keinen Grund, Menschen auszubeuten. Wir haben das zum Beispiel in deutschen Schlachthöfen gesehen, wo Menschen ohne Verträge oder mit unmoralischen arbeiten müssen und zusammengepfercht in schlechten Unterkünften leben. Solche Zustände muss man ändern und darum bemühen wir uns. Derzeit wird lediglich an Unternehmer appelliert, derlei zu unterbinden, es braucht aber verpflichtende Maßnahmen, die auch umgesetzt werden. Das alles sind sehr komplexe Themen, die man Schritt für Schritt angehen muss. Würde die Politik diese Themen ernster nehmen, könnten wir schon viel weiter sein. Doch es braucht immer erst eine Krise, damit sich etwas ändert.
„Ich halte nicht sehr viel von der romantischen Sichtweise, dass früher alles besser war.“
War die Welt früher einfacher?
Ich halte nicht sehr viel von der romantischen Sichtweise, dass früher alles besser war. Einfacher war es sicher, die Globalisierung bringt auch Verunsicherung mit sich. Wir werden überflutet mit Informationen, die sich oft als Falschinformationen herausstellen. Da muss man erst herausfinden, was wichtig und richtig ist. Und dabei tun sich ältere und erfahrenere Menschen wahrscheinlich leichter. Bei Themen wie der Digitalisierung hingegen muss die Politik Rahmenbedingungen schaffen, damit ältere Menschen zurechtkommen. Mir hat eine Mitarbeiterin vor etlichen Jahren einen Laptop förmlich aufgedrängt. Heute bin ich ihr dankbar. Wer nicht mit neuen Technologien umgehen kann, wird zunehmend abgehängt. Man muss mit den Entwicklungen mitgehen, unabhängig vom Alter.
Macht die Politik genug für die Seniorinnen und Senioren?
Ich denke schon, dass sich die Seniorinnen und Senioren gut in der Gesellschaft zurechtfinden. Es ist halt auch eine Frage der finanziellen Mittel. Wer nichts hat, kann nicht viel tun. Dann kam die Corona-Krise, und man hat die älteren Menschen weggesperrt. Wo soll das hinführen, wenn man Großeltern verbietet, ihre Enkel zu treffen? Das geht nicht. Ein anderes Thema ist die Erwerbstätigkeit, hier müsste es bessere Möglichkeiten geben, dass für Pensionistinnen und Pensionisten, die noch arbeiten wollen, dies auch möglich und attraktiv ist. Mit Corona ist diese Diskussion völlig verschwunden. Über die Pflege muss geredet werden, da liegt vieles im Argen. Man muss sie so gestalten, dass bis ins hohe Alter ein menschenwürdiges Leben möglich ist. Was nicht mehr geht, ist die Haltung, dass die Frauen das eh kostenlos machen.
Sie könnten auch schon in Pension gehen. Haben Sie das vor?
Ja, ich könnte! Ich finde nach wie vor aber wichtig, was ich mache. Und ich möchte immer mitbestimmen können, was gut für mich ist. Das muss für alle gelten – egal wie alt jemand ist.
Es heißt ja gern, dass Frauen ab einem bestimmten Alter nicht mehr oder anders wahrgenommen werden. Wie ist es Ihnen damit ergangen?
Das höre ich auch. Subjektiv wird es das geben. Worum es geht, ist, dass die Ghettoisierung von älteren Menschen vermieden werden muss. Das Heil allein in der Jugend zu suchen, funktioniert nicht. Es braucht beides. Letztlich darf man nicht vergessen, dass es die (älteren) Menschen sind, die das Land aufgebaut und viel in das System eingezahlt haben.
Gerade Frauen haben ein Problem mit dem Älterwerden. Was würden sie denen mitgeben?
Alt werden wir alle sowieso! Ich würde ihnen raten, sich dem zu stellen. Es wäre wünschenswert, sich weniger auf Äußerlichkeiten zu konzentrieren – Jungsein kommt ja aus einem selber. Dennoch musste ich lachen, als in einer Analyse des Sommergesprächs festgestellt wurde, dass Werner Kogler nun gepflegter gekleidet ist und abgenommen hat. Erst habe ich gedacht: Das sollte kein Thema sein. Dann dachte ich mir aber: Jetzt ist das endlich auch bei Männern Thema! Das Alter hat in Wirklichkeit doch keine Relevanz, solang man tun kann, was man gern macht. Und ich würde den Frauen sagen, dass sie im Alter in vielen Dingen besser dran sind als Männer: Die definieren sich meist nur über ihre berufliche Position, die in der Pension wegfällt und dann fallen sie in ein Loch.
Dann ist Zeit für Halbe-Halbe!
Sozusagen.