Sepp Forcher – Er war immer ein Hans im Glück

Einer der besten Erzähler Österreichs geht mit fast 90 Jahren nun wirklich in Pension: Sepp Forcher. Kurz nachdem die 200. Sendung von „Klingendes Österreich“ abgedreht war, durften wir ihn und seine Gattin Helli in ihrem Salzburger Zuhause besuchen.

Eine Ära geht zu Ende, am 7. März wird die 200. und letzte Sendung von „Klingendes Österreich“ ausgestrahlt, 5000 Kilometer war Sepp Forcher dafür unterwegs, wie immer dabei: Gattin Helli. Sie war seit 1986 bei jeder Sendung an seiner Seite, in der Hand fest umschlossen stets einen Quarzstein, „damit er sich nicht verredet“, verrät sie und schmunzelt.

Wir durften das Ehepaar in seinem Zuhause im Salzburger Stadtteil Liefering besuchen, wo die beiden seit 40 Jahren ein schmuckes Bauernhaus bewohnen. Sepp Forcher ist nun endlich Pensionist, er und Helli werden heuer 90. „Ich schon im Mai“, sagt sie, der Gatte kontert verschmitzt: „Musst auch immer betonen, dass du die Ältere bist.“ Ein herzlicher Schlagabtausch, der zeigt, dass hier zwei Menschen sitzen, die gemeinsam durch Dick und Dünn gegangen sind. Helli sitzt seit zwei Jahren im Rollstuhl, ein Schlaganfall bremst sie nun ein, wenn auch nur körperlich. Die geistige Fitness trainieren beide vor allem mit Lesen. Und die ist beachtlich. Beide wissen noch genau, in welchem Jahr sie welchen Gipfel erklommen haben, Sepp Forcher, schon immer begeisterter Radiohörer, erzählte von seinem Ingelen-Radio, das er in Großarl im Jahr 1957 für 1.300 Schilling gekauft hat.

Nach tausenden von Kilometern, die er für seine Sendungen quer durch Österreich gefahren ist, ist sein Lieblingsplatz mittlerweile „daheim“. „Es gibt viele Plätze, wo ich gerne bin oder war. Aber es gibt keinen, wo ich noch unbedingt hin möchte. Wenn man ein erfülltes Leben hinter sich hat, hat man keine großen Wünsche mehr“, sagt Forcher recht pragmatisch. „In dem Alter brauchst du nicht mehr fantasieren, was du in zehn Jahren tust.“ Ob ihn das traurig macht? „Nein, im Gegenteil! Der Tod gehört zum Leben. Wenn er dich nicht mit Schmerzen plagt, kommt er sogar als Freund.“ Und auch wenn es melancholisch wird, hat Sepp Forcher einen Scherz auf den Lippen: Als Hellis Augen beim Thema Tod feucht werden, kontert er: „Geh, du trainierst schon auf mein Begräbnis!“ Helli: „Da geh ich nicht hin!“. Er, weil sie ja im Rollstuhl sitzt: „Jetzt wirst eh hingefahren!“ 64 Jahre sind sie verheiratet, gemeinsam waren sie auf vielen Berggipfeln – Helli war damals eine der wenigen Frauen, die kletterte -, bewirteten Berghütten und hatten ein Gasthaus in Salzburg. Helli stand auch hinter ihm, als er seine Karriere beim ORF machte. Kennengelernt haben sie sich beim Berggehen, nach fünf Jahren Beziehung beschlossen sie als „Feuerprobe“ für die Heirat, es eine Saison gemeinsam als Hüttenwirte zu versuchen.

Sepp Forcher ist eigentlich gebürtiger Südtiroler, dass er in Salzburg gelandet ist, war dem Zweiten Weltkrieg geschuldet. Im Rahmen des Südtirol-Abkommens zwischen Hitler und Mussolini entschieden sich seine Eltern für die Option, also dafür, die Heimat Südtirol in Richtung Österreich zu verlassen. Der Vater war Hüttenwirt und Bergführer, hatte gute Auftraggeber („einer seiner Kunden war ein reicher Engländer, der sich zu den Bergtouren mit Rolls Royce und Chauffeur fahren hat lassen“), doch mit der Tausend-Mark-Sperre blieben die Kunden aus. Der kleine Guiseppe, wie er damals noch hieß, wuchs in Werfenweng im Pongau auf und absolvierte dort die Volksschule. Mangels weiterer Ausbildung arbeitete er als Träger in Kaprun und Heiligenblut, als Berg- und Höhlenführer und Mineraliensammler, als der er „sagenhafte Funde“ machte. Seinen größten fand er, wo ihm alle abgeraten hatten, weil man dort sicher nichts finde – „ich war immer ein bisschen Hans im Glück“. Vom Geld kauften er und Helli sich ihr erstes Auto, einen VW-Kübelwagen von der deutschen Wehrmacht, mit dem sie ihre Bergreisen unternahmen, bis in die Pyrenäen, „war das immer kalt!“, rief Helli, denn das Auto hatte keine Heizung. Einige der Mineralienfunde hat er in einer Vitrine im ersten Stock des Hauses gesammelt, ein ganz großer ziert das Grab des Sohnes Peter, der 1976 bei einem Unfall gestorben ist. Das war auch der Zeitpunkt, an dem das Ehepaar seinen Platzlkeller in Salzburg aufgegeben hat, den sie fünf Jahre betrieben hatten.

Ab 1955 bewirtete das Paar Hütten in Großarl, auf dem Untersberg und auf dem Dachstein. Erst dort konnten die Forchers ihre Buben mitnehmen, die bis dahin bei Hellis Mutter in Wien wohnten und zur Schule gingen. Als Karls Volksschullehrer dem Ehepaar Forcher empfahl, den Sohn ins Gymnasium zu schicken, zog die Familie nach Salzburg, wo auch die ORF-Karriere begann. Doch diese Episode spart sich Sepp Forcher bis zum Schluss auf. Stattdessen erzählt er von seinen Erlebnissen am Berg, als er mit 45 Jahren in der Nordwand des Hochstadels in den Lienzer Dolomiten an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit geriet und recht pragmatisch beschloss, diese Art des Kletterns sein zu lassen. Wie ihn Menschen wie sein früherer Vermieter geprägt haben, den er auf die indexmäßige Anpassung der Miete angesprochen hatte und der meinte: „Herr Forcher, so lange ich nicht mehr Zinsen für meinen Kredit zahle, müssen Sie nicht mehr Miete zahlen.“ Er erzählt vom Brauch der damaligen Zeit, beim Bergsteigen statt literweise Wasser, eine Flasche Wein, zwei Äpfel und Traubenzucker mitzunehmen und trotzdem Wandergruppen überholt zu haben („in Italien sagt man: Wer langsam geht, geht gut, wer gut geht, kommt weiter“). Forcher erzählt, wie er mehrfach von Lawinen verschüttet wurde, sich aber stets selbst befreien konnte („einmal zog mich ein Steirer raus“) und wie er sich in eine Gletscherspalte abseilte, um dort verschiedene Methoden der Selbstbefreiung zu trainieren. Den späteren Himalaya-Hype sieht er skeptisch, „damals kam die Einstellung auf, dass man nur dann Höchstleistungen erbringen kann, wenn man keine Rücksicht auf andere nimmt. Das bin ich nicht.“ Das Himalaya-Massiv hat er nur vom Flugzeug aus gesehen. 

Sepp: „Geh, du trainierst schon auf mein Begräbnis!“ Helli: „Da geh ich nicht hin!“ Er, weil sie ja im Rollstuhl sitzt, „jetzt wirst eh hingefahren!“

Eineinhalb Stunden erzählen die Forchers über ihr gemeinsames Leben, die ORF-Karriere bekam in der letzten Viertelstunde Platz. Und die begann so: 1963 war Sepp Forcher bei der legendären Rosemarie Isopp zu Gast, schon kurz darauf machte er selbst Beiträge für eine Radiosendung. Dass man damit Geld verdienen kann, wurde ihm erst bewusst, als er eine Honorargutschrift bekam, erzählt er und schmunzelt. Er moderierte die Sendung „Mit Musik ins Wochenende“ und als man für eine Sendung, die in Werfenweng stattfinden sollte, jemanden suchte, der sich in den dortigen Bergen auskennt, wurde Sepp Forcher empfohlen. Während dieser Sendung hatte der Moderator eine Stoppuhr eingeschaltet und schränkte somit die Redezeit ein, was Forcher sehr missfiel. Als sich der Sendeverantwortliche, mit dem er nach Salzburg zurückfuhr, über den Erfolg der Sendung freute, meinte Forcher nur: „Das Gefühl habe ich nicht. So geht man mit Menschen nicht um“, worauf er zur Antwort erhielt: „Dann müssen Sie es selbst probieren.“ Gesagt, getan. Er fuhr für seine Sendungen zu den Menschen in die Gemeinden, wichtig war ihm, den Zuhörern Service zu bieten. Seine Beiträge hat er später selbst geschnitten, gemischt und am Schluss nur mehr fertige Sendungen abgeliefert. Seine Bilanz: 1.360 Wochenendsendungen, rund 200 Sendungen für den ORF Tirol – und eben 200-mal „Klingendes Österreich“. 

Sepp Forcher ist ein einnehmender Erzähler, die Zeit beim Ehepaar vergeht wie im Flug. Ob er denn wehmütig sei wegen der letzten Sendung? „Um Gottes willen!“, ruft Forcher und lacht. Es sei eine schöne Zeit gewesen, er habe sich nie „dreinreden“ lassen und sein Ding durchgezogen. „Einen Plan habe ich aber nur als Bergsteiger gehabt. Einen Lebensplan kannst nicht haben, wenn du wie ich nichts gelernt hast.“ Wir überhören dieses Tiefstapeln und verabschieden uns mit: Unsere Hochachtung, Herr Forcher! 

 

Daniela Müller
Beitrag veröffentlicht am 3. März 2020
Bildquelle: Sandra Hallinger