Plötzlich zu Hause: Mein Abenteuer Alter

Altlandeshauptmann Hermann Schützenhöfer im Interview über sein Leben nach 52 Jahren in der Politik, über Freundschaften und über die Sorgen der Spitalspatienten. 

Wir treffen Sie hier in einem Büro in der Grazer ÖVP-Zentrale. Das ist kein typischer Ort für einen Pensionisten, der einen Teil seines Lebens zurücklässt und einen neuen Lebensabschnitt beginnt, oder?
Hermann Schützenhöfer: Ich glaube, das könnte ich gar nicht. Aber ich bin zum Ehrenobmann der steirischen ÖVP gewählt worden und deshalb habe ich hier ein Büro. Ich bin vielleicht einmal in der Woche hier.

Wie erleben Sie den neuen Lebensabschnitt, auch als Abenteuer?
Es ist schon eine Art Abenteuer. Ich war 52 Jahre in der Politik, das ist eine sehr lange Zeit, und ich bin seit 44 Jahren mit meiner Frau verheiratet. Ich war immer zweigeteilt. Ich war Berufspolitiker, meine Frau hat zugunsten ihres Mannes und der Kinder ihre Berufskarriere aufgegeben und sich der Familie gewidmet. Und jetzt bin ich plötzlich zuhause. Allerdings nicht immer mit dem Kopf. Ich werde oft angerufen und um Rat gefragt. 

Sind Sie zuhause ein Fremdkörper?
Das nicht, aber es ist eine Umstellung. 

Wie sieht das Ihre Frau?
Offen gesagt, wir sind beide noch in der Eingewöhnungsphase. Sie war gewohnt, zuhause zu sein und alles irgendwie zu dirigieren. Meine Versuche, ihr im Haushalt irgendwie zu helfen, sind nicht nennenswert, weil es braucht Zeit, bis man weiß, wo was hingehört. Aber man lernt bei der Gelegenheit die Arbeit einer Frau schätzen. Das ist für mich und meine Frau neu, aber es geht gut. Der entscheidende Vorteil für mich auch in der Beziehung zu meiner Frau ist, dass ich nicht mehr die Letztverantwortung in der Politik habe. Ich war immer ein Mensch, dem die Leichtigkeit des Seins nicht gegeben ist. Wenn ich früher im Sommer ein paar Tage weg war und es gab in der Steiermark ein Unwetter, bin ich zurückgefahren. Diese Last ist weg, und das wirkt sich für mich gut aus. 

Wie beginnt Ihr Tag, wenn nicht frühmorgens der Chauffeur vor der Tür steht?
Im Regelfall steht meine Frau vor mir auf. Beim Frühstück muss die Zeitung da sein. Ich bin ein Zeitungsmensch, ich muss die Zeitung in der Hand haben, mit dem iPad kann ich nicht viel anfangen. Am Vormittag gehe ich dann entweder eine Stunde mit meiner Frau oder ich sitze eine gute halbe Stunde am Hometrainer und mache dann Körperübungen, die mir gut tun. Mein Rhythmus war ja: Man sitzt im Wagen, bereitet sich auf die nächste Rede vor, ist dann im Büro, man isst etwas, geht heim, schlaft und dann am nächsten Tag alles wieder von vorne. Diese Dinge haben sich ganz eindeutig verbessert. 

Sie hatten viele Jahre Dienstwagen und Fahrer, wie schaute es mit dem Autofahren aus?
Ich bin viele Jahre nicht selbst gefahren und ich fahre jetzt mit unserem Auto durch die Gegend. Aber es ist für mich keine Frage, wenn ich wohin fahre, wo ich auch ein Glaserl Wein trinke, dann bitte ich jemanden, dass er mich führt. Durch die Partei habe ich da Möglichkeiten, aber ich habe keinen Chauffeur, der Tag und Nacht für mich parat ist. 

Haben sich im neuen Lebensabschnitt ihre Freundschaften verändert?
Ich sage immer: Lebensfreundschaften entstehen eigentlich in der Jugend. Meine drei oder vier wirklichen Freunde waren das damals und sie sind es heute. Das sind Freunde, mit denen wir auch auf Urlaub fahren. Ich möchte hier auch dankbar erwähnen, dass es mich freut, wenn mich viele Leute ansprechen und sagen: Schade, dass Sie gegangen sind. Das sind übrigens die gleichen, die nach zwei Jahren sagen: Warum ist der noch immer nicht weg? 

Und in den Abendstunden, da sind Sie ja jetzt zuhause wie andere Leute in Ihrem Alter? Sitzen Sie vor dem Fernseher?
Was das Fernsehen betrifft: Meine Frau schaut mehr politische Sendungen als ich. Spätabends wird mir das zu dumm, da geh ich etwas lesen.

 Wie geht es Ihnen nach so einem außerordentlichen Berufsleben gesundheitlich?
In meinem Alter geht es ohne Wehwehchen nicht. Ich bemühe mich, etwas gesünder zu leben. Meine Funktion war ja auch Raubbau am Körper. Das geht oft gar nicht anders. 

Wenn es um die Gesundheit geht, erlebt die ältere Generation lange Wartezeiten in Ordinationen und Ambulanzen. Haben Sie das auch schon erlebt?
Ja schon. Natürlich muss ich zugeben, dass man als Landeshauptmann privilegiert ist. Da ruft man an, weil man Schmerzen hat und der Arzt fragt, wann man kommen will. Aber das heißt noch lange nicht, dass man nicht warten muss. Ich gehöre auch nicht zu denen, die nach drei Minuten ungeduldig werden. Insgesamt halten sich diese Situationen in Grenzen. 

Die ältere Generation nimmt gerade mit Sorge die Lage in den Landesspitälern wahr. Sie hatten viele Jahre dafür zumindest Mitverantwortung. Verstehen Sie die Sorgen der Menschen?
Das ist natürlich ein vielschichtiges Problem. Ich sehe, dass für viele Menschen die eigene Befindlichkeit das Maß aller Dinge geworden ist. Sie machen sich keine Gedanken und vertrauen darauf, dass die Gesellschaft sie auf irgendeine Weise tragen wird. Wenn ich durch das Land fahre, denke ich mir oft: Wissen die Leute denn, dass wir in einem privilegierten Land leben? Wenn ich denke, wie vieles selbstverständlich geworden ist, sehe ich einen gewissen Werteverfall. Die Erwartungshaltung der Menschen ist sehr groß geworden. Sie denken, dass ihnen Vieles zusteht. 

Was bedeutet das in Bezug auf die Lage in den Krankenhäusern?
Die Medizin kann heute unglaublich viel! Es gibt aber keinen Grundkonsens mehr, dass nicht jede der Errungenschaften in jedem einzelnen Spital angeboten werden kann, und dass es deshalb Spezialisierung geben muss. Deshalb ist es gut, wenn wir Krankenanstalten haben, die eine Erstversorgung anbieten, und gleichzeitig müssen die Leute dann mit dem Hubschrauber oder dem Jumbo rasch in ein Zentralspital kommen können. Daran muss die Politik arbeiten und auch festhalten! Ich sage immer: Politik ist dazu das, um das Richtige populär zu machen. Wenn das nicht gelingt, muss man aber immer noch das Richtige tun.

Viele Menschen in der Steiermark und gerade die ältere Generation leiden unter der hohen Inflation dieser Zeit. Wie erleben Sie das?
Ich kriege das natürlich mit, obwohl ich kein begnadeter Einkäufer bin. Ich bringe eher Sachen nachhause, die kein Mensch braucht. Aber es fällt mir zu, dass ich meine Frau zum Bauernmarkt auf den Kaiser Josef Platz oder Lendplatz fahre und wenn sie zurückkommt, erfahre ich, dass dieser Einkauf 70 Euro gekostet hat. Ich persönlich finde, dass die Politik wegen der Teuerung mehr tun müsste. Es muss einiges getan werden, um den Sozialstaat zu schärfen, um denen zu helfen, die ihn wirklich brauchen. Und ihn gleichzeitig für die zu schließen, die sich etwa in der Pandemie eigentlich ganz gut bedient haben. 

Viele Menschen beginnen den neuen Lebensabschnitt der Pension mit Plänen und Vorsätzen. Manches gelingt dann nicht wie beabsichtigt. War das bei Ihnen auch so?
Eigentlich nicht. Was ich mir vorgenommen habe, ist mehr zu lesen. Das tu ich. Was langsam dazu kommt, ist mehr zu reisen. Ich war nie ein Reisender. Als Politiker bin ich ziemlich viel herumgekommen in der Welt, jetzt genügt mir Österreich und das Umfeld. Ich fahre wahnsinnig gerne ins Friaul und nach Grado. Aber, ob ich durch die Grazer Herrengasse gehe oder in Grado, ich treffe die gleichen Leute aus der Steiermark. Zuhause genießen wir die Natur. Wenn meiner Frau und mir danach ist, fahren wir nach Pöllauberg, wo wir geheiratet haben. Das genießen wir sehr. 

Andere beginnen im Alter ehrenamtliche Tätigkeiten. Die halbe Republik würde wahrscheinlich nicht funktionieren, würden sich die Senioren nicht engagieren. Wie ist das bei Ihnen?
Ich bin Ehrenobmann der ÖVP, das ist natürlich ehrenamtlich. Ich fahre viel hinaus, wenn mich zum Beispiel die Altbürgermeister einladen, die kenne ich ja alle. Neu ist, dass ich die Präsidentschaft des Komitees „Große schützen Kleine“ übernehme. Da geht es um Unfallprävention und Gesundheitsförderung für Kinder und Jugendliche. Ich bin auch ehrenhalber der Vorsitzende des Kuratoriums des Universalmuseums Joanneum, wo wir bemüht sind, das Erbe Erzherzog Johanns in die heutige Zeit zu tragen. Mich füllt aus, dass wir dieses wichtige Erbe nicht nur verwalten, sondern in die Zukunft führen. 

Text von Johannes Kübeck
Bild von Luef Light
Beitrag veröffentlicht am 22.06.2023