Lieblosigkeit, Perspektivenlosigkeit, Aggressionen, mehr hatte er in seinen ersten Lebensjahren nicht kennengelernt. Als Kind und Jugendlicher ist er all dem im wahrsten Sinne des Wortes davongelaufen, später dann von Sieg zu Sieg. Bis zum allerwichtigsten: den Sieg über eine schwere Erkrankung.
„Da ich bald einmal in meinem kleinen Leben, ohne es zu wissen, vor etwas davonrennen musste, begann ich sehr früh mit dem Laufen. Das Wunderschöne damals war, dass ich in eine Traumwelt hineinlief – in eine Welt voller atemberaubend schöner Gedanken.“
Mit diesen Zeilen beginnt das erste Kapitel seines Buches „Kein Leben ohne Sieg“. Der Autor: Kurt Stefan Mayer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Trofaiach, später in der Sportwelt als x-maliger steirischer Landesmeister mit allen Siegen von 400-Meter-Läufen bis zum Marathon zum Begriff geworden, ebenso erfolgreich in Ski-Langlaufbewerben, seit Langem gesuchter Heilmasseur mit einer Praxis in Graz und einer in Wien und außerdem Coach von Spitzensportlern.
Sein spannendes Leben vom Kleinkind, das gleich nach der Geburt einfach irgendwo hingegeben wurde, bis zum gefeierten Sportstar könnte Bände füllen, Kurt Mayer hat es auf 140 Seiten komprimiert niedergeschrieben.
„Abenteuer Alter“ besuchte Kurt Mayer nicht nur in seiner Praxis in der Klammerth-Passage in der Grazer Herrengasse, sondern auch in seinem am Windischbühel in der nun zu Trofaiach gehörenden Gemeinde Gai gelegenen aparten Einfamilienhaus und natürlich in seinem Baumhaus am Beginn des Rötzgrabens und erhielt bei dieser Gelegenheit tiefen Einblick in seine schwierige Kindheit, seine sportliche Laufbahn und in die Philosophie dahinter, die ihm die Kraft, das Durchhaltevermögen und vor allem auch die Freude am Sport verliehen hatte.
Eine allessagende Antwort findet sich im Vorwort zu seinem Buch: „Wenn du in der Hölle lebst, findest du es lange Zeit ganz normal – du kennst ja nichts anderes. Aber irgendwann tun sich Wege auf, Fluchtwege. Dann musst du aufbrechen, dich auf den Weg machen. An eines glaube ich ganz fest: In der Hölle zu leben macht dich jedenfalls nicht träge. Und du kannst durchaus wie ich eines Tages im Himmel auf Erden landen.“
Kurt Mayer war ein sogenanntes unerwünschtes Kind, wurde von der Mutter nach der Geburt weggegeben, lernte erst mit drei Jahren annähernd so etwas wie Familie kennen, als er auf den Bauernhof zur Urgroßmutter kam, nahm aber als Erinnerung an diese Zeit vor allem jenen traumatisierenden Eindruck mit, als ein Großonkel seine Frau erschlagen wollte, sie von der Urgroßmutter in allerletzter Minute gerettet wurde.
Noch im Vorschulalter der nächste Schock: „Da ist auf einmal eine wildfremde Frau in der Stube gestanden und meine Taufpatin hat mir erklärt, dass diese Frau meine Mutter ist.“ Die Großfamilie begann sich allmählich aufzulösen, Kurt Mayers Eltern heirateten sogar, der Vater erbte den Hof und bekam zusätzlich einen Arbeitsplatz bei der VOEST-Alpine in Donawitz. Für den kleinen Kurt begann jetzt erst recht jene Hölle, von der er im Vorwort seines Buches spricht. „Eigentlich hat meine Kindheit“, denkt Kurt Mayer an diese Zeit zurück, „mit fünf Jahren aufgehört. Den ganzen Sommer über Kühe hüten, Zäune hat es nicht gegeben, also war ich die ganze Zeit in Bewegung, um die Herde zusammenzuhalten. Den Kühen nachlaufen, dem meist betrunkenen Vater vor seinen Schlägen davonlaufen. Und eine Mutter, der ich nie etwas recht machen konnte, für die ich immer nur der Trottel war. Kontakt mit anderen Kindern hat es kaum gegeben.“
In der Schule wäre Kurti für Hand- und Fußball recht talentiert gewesen, von daheim fehlte dafür jedoch die „Freigabe“. Schifahren? Super, bis die ersten Schi nur noch Anzündholz waren. Dann, schon in der Hauptschule, der berühmte Tag X. In Trofaiach sollte ein Crosslauf stattfinden und dafür wurde ein Sporttag für die dritten und vierten Klassen der Hauptschule ausgerufen, um die besten Starter zu ermitteln. Siehe da, der Kurt Mayer lief allen davon.
„Für mich war das ein Schlüsselerlebnis, ich war der Schnellste der Schule und noch nie zuvor in meinem Leben hat mir jemand gesagt, dass ich etwas gut gemacht hätte. Ich habe gespürt, dass mir etwas gelungen war, das man weiterverfolgen sollte. Nächstes Ziel war dann eben dieser Crosslauf. Als Training bin ich im Obstgarten am Abend bis zum Erbrechen um die Bäume gelaufen, den 1.200-Meter-Lauf in der Schülerklasse habe ich dann auch gewonnen.“
Bis zum 14. Lebensjahr verzeichnete er noch mehrere Crosslauf-Siege, dann die Ausbildungsfrage, die alle entschieden, nur nicht er. „Wir brauchen neue Kellerfenster, der Bua soll Tischler lernen“, fällte der „Familienrat“ den Entschluss – Widerrede zwecklos.
Längst war man in Sportvereinen auf den talentierten Trofaiacher aufmerksam geworden, er war praktisch zum „Zwei-Saisonen-Sportler“ geworden – im Winter Skilanglauf, im Sommer Langstreckenlauf. Und immer gegen den Willen der Eltern, für die Laufen die „unnützeste Spinnerei“ der Welt war.
Ein Sportler und zwei Saisonen – Langlaufstrecke und Langlaufschi
Die nächsten Lebensstationen- und jahrzehnte des Kurt Mayer lassen sich nur im Zeitraffer darstellen, die „Siegerwand“ mit den Medaillen und Pokalen in seinem Haus erzählt eindrucksvoll seine Erfolgsgeschichte. Wie viele es sind, kann er nur schätzen: „Aber 500 werden schon zusammenkommen.“
Mit seinem Motivationsbuch eröffnet Kurt Mayer Perspektiven des Denkens und Fühlens, die Wege aufzeigen, wie sich Kraftströme aus eigenen Reserven mobilisieren lassen. Verfasst hatte er den Text in „seinem“ Baumhaus, in luftigen vier Metern Höhe mit herrlichem Panoramablick über ganz Trofaiach, und errichtet hatte er dieses massive Holzgebäude nach seinem Schlaganfall in eigener Handarbeit. Das Schreiben hat er wieder mühsam erlernt und rund um das Haus hat er einen Waldlaufweg angelegt, auf dem er mit beinharter Konsequenz seine Laufrunden dreht.
Schlaganfall vor sechs Jahren
„Offenbar muss ich schon mit einem hohen Blutdruck auf die Welt gekommen sein, die Ärzte haben mich oft darauf aufmerksam gemacht, aber bei meinen sportlichen Aktivitäten konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass gerade ich schlaganfallgefährdet sein könnte. Und doch ist es passiert. Vor sechs Jahren“, erinnert sich Kurt Mayer an diese schicksalshaften Stunden und Tage. Doch schon unmittelbar nach seiner Einlieferung hatte er begonnen, sich selbst zu therapieren, ließ seine gesamte berufliche Erfahrung in die Eigenbehandlung einfließen, massierte mit der gesunden linken Hand die gelähmte rechte Körperhälfte, überwand mental die Ängste, verweigerte die Reha und … läuft heute wieder.