Alfred Weinmann, 89, ist der älteste Student an der Grazer Karl-Franzens-Universität. In der Pension hat der Diplomingenieur für Maschinenbau nochmals inskribiert und schreibt nun an seinem Doktorat in Geschichte. Und verrät: „Sich bilden und Wissen aneignen, das ist mein Lebenselixier.“
W enn man sich zu einem Gespräch mit dem ältesten Studierenden der Karl-Franzens-Universität trifft, würde man alles andere erwarten als jenen Mann, der da so agil und dynamisch zur Tür hereinkommt. „Ich bin mit dem Auto hergekommen“, sagt der 89-jährige dann auch noch ganz selbstverständlich. Dabei ist im Leben von Alfred Weinmann vieles alles andere als selbstverständlich verlaufen. „Aber vielleicht ist gerade das der Grund dafür, dass ich mein Leben lang begeistert Neues gelernt, erforscht und entwickelt habe“, meint der Maschinenbau-Doktor und mittlerweile auch Magister der Philosophie.
Geboren wurde Alfred Weinmann 1935 in Wien – als der jüngere von zwei Zwillingsbuben. Als er fünf Jahre alt war, zog die Familie berufsbedingt nach Prag. „Da habe ich gleich einmal meinen ersten Sprachumstieg absolviert und tschechisch gelernt. Es sollte dann ganze 30 Jahre dauern, bis die Weinmanns wieder nach Wien zurückkehrten. Alfred hat in diesen Jahren die Schule und eine Lehre absolviert, „weil studieren für unsereins nicht ganz so einfach möglich war.“ Aber nachdem es schon im Alter von 12 Jahren sein Wunsch war, Dinge zu erforschen und entwickeln, blieb in ihm immer die feste Absicht, einmal auf die Universität zu gehen. Und Weinmann hat dann auch tatsächlich in Prag Maschinenbau studiert, das Doktorat gemacht und damit die Grundlage für seine erfolgreiche wissenschaftliche Laufbahn gelegt. Nicht zuletzt war Alfred Weinmann 1968 aktiv im Prager Frühling engagiert. Eindrücke und Erfahrungen, die in ihm auch ein geschichtliches Interesse haben wachsen lassen – und letztlich ein wesentlicher Grund dafür, warum er sich im Pensionsalter noch einmal für ein Studium entschlossen hat.
Davor aber hat Alfred Weinmann eine beindruckende Karriere als Wissenschaftler hingelegt. Von Prag nach Wien zurückgekehrt, hat sich der junge Maschinenbau-Doktor bei verschiedenen Firmen beworben und ist schließlich bei der Andritz AG in Graz gelandet. „Ich habe dort gleich im Bereich Forschung und Entwicklung zu arbeiten begonnen – eine Firma, eine berufliche Tätigkeit und eine Leidenschaft, die mich ein Leben lang nicht mehr losgelassen hat“, blickt der 89-jährige zurück. Und erinnert sich: „Ich war Vorsitzender des Entwicklungsteams der Andritz AG und habe gleichzeitig auch eine Abteilung für Verfahrenstechnik geleitet. In dieser Zeit habe ich insgesamt an die 25 Patente angemeldet gehabt. Und ich habe meine Arbeitsjahre mit sehr viel Freude und relativ viel Erfolg hinter mich gebracht.“ Man glaubt es ihm einfach aufs Wort, wenn er sinnierend bekennt: „Ich habe mich mit 12 Jahren entschlossen, in die Forschung und Entwicklung zu gehen. Ja, ich wollte immer Forscher werden. Ich habe studiert und meine Leidenschaft im Beruf umgesetzt. Und ich war mein Leben lang glücklich damit.“ Wie er es übrigens auch mit seiner Ehefrau ist, die er an der Universität Prag kennengelernt hat und die ebenfalls als Diplomingenieurin für Maschinenbau in der Andritz AG tätig war.
Mit 61 Jahren ist Alfred Weinmann dann in Pension gegangen – und stand bald vor der Frage: „Was machst du jetzt?“ Da fiel dann der Entschluss, ein weiteres Studium zu beginnen. Der Senioren-Student erzählt: „Ich habe mich für Geschichte und Slawistik entschlossen. Ich spreche ja eine slawische Sprache, da hatte ich also bereits Vorkenntnisse. Meine Hauptmotivation war jedoch Geschichte.“ Aber: „Bevor ich damit loslegen konnten, musste ich noch Latein nachholen“, erwähnt Weinmann so ganz nebenbei, um gleich von einem weiteren unglaublichen Ereignis aus seinem Leben zu berichten: „Als ich 2004 das Studium abgeschlossen hatte, hat mich meine Mutter zur Sponsion begleitet – sie war damals 100 Jahre alt!“
Es wäre nicht Alfred Weinmann, hätte er mit dem Mag. Phil. die Hände in den Schoss gelegt und das Kapitel „Aus- und Weiterbildung“ abgeschlossen. Natürlich musste es auch noch das Doktorat sein. „Damit bin ich allerdings etwas schleppend unterwegs“, meint er etwas selbstkritisch. Aber nennt verständliche Gründe: „Zunächst ist meine Mutter verstorben, das hat mich das erste Mal gebremst. Auch der Tod meines Zwillingsbruders und die Erkrankung meiner Frau haben mich etwas zurückgeworfen. Ich habe mittlerweile zwar alle Prüfungen absolviert, aber die Dissertation muss noch fertiggeschrieben werden.“
Dass er ein „Oldie“ unter all den jungen Studierenden war, war und ist für Weinmann übrigens überhaupt kein Problem. „Ganz im Gegenteil. Die Leute haben sich sehr für mich interessiert – vor allem, weil ich aktiv am Prager Frühling beteiligt war. Da habe ich im Geschichtestudium, quasi aus allererster Hand, sogar einen Vortrag halten dürfen. Ich habe dahingehend ja Kenntnisse, die bis dato nicht allgemein bekannt waren. Das hat die jungen Kollegen beeindruckt und das hat auch zu manch einer Freundschaft geführt, die bis heute noch besteht. Außerdem bin ich es gewohnt, der älteste Student zu sein. Das war ich auch in Prag schon, weil ich ja vor dem Studium eine Lehre gemacht habe“, schmunzelt der Senioren-Student. Im Februar dieses Jahres musste sich Alfred Weinmann zudem einer Augenoperation unterziehen und auch der Betreuungsaufwand für seine 85-jährige Frau wächst. „Ich schmeiße jetzt auch den Haushalt – ich koche und wasche Wäsche, das braucht alles Zeit.“
An seinem Doktorrat weiterarbeiten will er dennoch auf alle Fälle: „Sich bilden und Wissen aneignen, das ist für mich ein Lebenselixier“, zeigt sich Weinmann motiviert. Und verrät, was ihn außer dem geschichtlichen Interesse und der Suche nach einer Beschäftigung in der Pension antreibt, im hohen Alter noch auf die Uni zu gehen: „Ich bin sehr gerne unter jungen Leuten – das hält einen jung. Und: Ich hatte in Prag von Anfang an Schwierigkeiten, weil mein Vater Ingenieur war und meine Mutter die Tochter eines Fabrikanten. Das war verpönt und es wurde mir der Zugang zur Bildung erschwert. Daher habe ich zunächst Maschinenschlosser lernen müssen. Als die Verhältnisse sich dann etwas gelockert haben, durfte ich mit meinem Zwillingsbruder Eduard die HTL besuchen. Wir konnten sogar zwei Jahre überspringen und gleich in den dritten Jahrgang einsteigen.“ Weinmann war Vorzugslehrling und Vorzugsschüler. Stets lauter Einser und Matura mit Auszeichnung spiegeln seinen Bildungshunger wider. Umso bitterer die Erinnerung, dass der Weg zum Studium in Prag ein beschwerlicher war. Dennoch haben die Zwillingsbrüder es geschafft und ihr Maschinenbaustudium bravourös gemeistert. „All diese Schwierigkeiten sind mit ein Grund, warum ich mich in der Pension entschlossen habe, hier in Graz, nochmals ein Studium zu absolvieren“, erzählt Weinmann. Und betont: „Damals war alles so mühsam und jetzt kann ich es mit Leichtigkeit machen. Diese Freude wollte ich mir gönnen. Ich wollte ganz einfach in einem freien Land studieren.“
In ihrem überaus erfüllten Berufsleben hat es für das Ehepaar Weinmann wenig Zeit und Raum für andere Beschäftigungen gegeben. „Unser Leben war die Forschung und Entwicklung. Wir haben auch keine Kinder. Aber ich lese sehr viel – vor allem technische Literatur und Geschichte. Ich höre auch gerne Musik – klassische aber auch Blasmusik. Und ich fahre leidenschaftlich gerne Auto. Und das seit nunmehr 68 Jahren. Auch wenn wir verreisen, mache ich das am allerliebsten mit dem Auto“, schmunzelt der agile Akademiker mit einem fast leidenschaftlichen Blick auf seine Autoschlüssel.
Aber woher stammt die körperliche und geistige Fitness für all das? Da lacht der rüstige Pensionist und meint: „Ich muss Sie enttäuschen. Meine Rezepte für das Fitbleiben schauen nicht gerade beispielhaft aus. Ich betreibe keinen Sport, ich esse ganz normal, trinke allerdings keinen Alkohol, vertraue auf die Schulmedizin und die Pharmaindustrie und versuche mich so gut es geht immer noch geistig zu betätigen. Mein fixer Plan ist es ja, meine zweite Dissertation zu schreiben.“ Für Weinmann liegt es übrigens ohnehin in den Genen, wie lange und wie gesund ein Leben verläuft. Und da stehen die Zeichen für ihn sehr gut, denn: „Meine Mutter wurde 102 Jahre alt und lebte bis 96 alleine. Der Vater ist mit 88 gestorben, er hat aber beide Weltkriege durchleben müssen und auch danach waren die Zeiten für ihn nicht sehr schön.“ Dennoch lässt Weinmann dem Schicksal nicht ganz seinen Lauf: „Ich gehe natürlich regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen und ich versuche auch, Kontakt zu meinen Freunden zu halten. Zu Weihnachten schreibe ich dahingehend am Computer etwa an die 80 Jahresberichte.“ In Sachen Ernährung setzt der Senior-Student übrigens auf Selbstgekochtes: „Weil meine Frau leider nicht mehr kochen kann. Ich schaffe das aber nur mit Rezepten – und die hole ich mir aus dem Internet.“
Auf die obligate Frage nach dem Wunsch für die Zukunft folgt die ebenso obligate wie nachdenkliche Antwort: „Gesundheit! Der Mensch stirbt nicht gesund, da kommt also etwas auf mich zu. Und ich wünsche mir, dass meine Frau noch möglichst lange lebt.“ Aber gleich setzt Weinmann ganz wach nach: „Und natürlich wäre es schön, wenn ich das Doktorat abschließen könnte. Ja, schön wäre es, aber wirklich wichtig ist es für das Leben nicht mehr.“