Am 2. Juni feierte Boris Bukowski im Grazer Orpheum das Leben und vor allem das Überleben. Für Abenteuer Alter kramte der Musiker in den bunten Erinnerungen seiner Vergangenheit.
Mit einer Spur von Blasphemie könnte man das, was Boris Bukowski vorhat, als Wiederauferstehungsgottesdienst bezeichnen. Er muss jedenfalls lachen, so recht an Gott glaubt er sowieso nicht, eher an die Wissenschaft – und an sich selbst. Nach Überwindung seiner schweren Krebserkrankung spielte er am 2. Juni im Orpheum ein großes Konzert mit einigen Überraschungen. In Graz, wo alles begonnen hat.
Boris Bukowski, der eigentlich Fritz mit Vornamen heißt, Sohn eines Juristen, Bruder eines Diplomaten, ist zwar in einem bürgerlichen Haushalt in Ilz groß geworden, geprägt hat ihn jedoch die gesellschaftliche Stimmung im Graz der späten 1960er-Jahre. Auch Bukowski war dabei, als in der steirischen Landeshauptstadt der Aufstand gegen das Establishment ausgerufen wurde, freilich mit langen Haaren, sehr zum Missfallen der älteren Bevölkerung. Es sei nicht nur einmal vorgekommen, dass Altvordere einen in der Grazer Innenstadt an den Haaren gezogen hätten, erinnert sich der Musiker. „Wenn man als junger Mensch nicht unbedingt viel vorzuweisen hat, womit man glänzen kann, ist man halt dagegen. Und da hatten wir Gründe genug“, betont Boris Bukowski: die Obrigkeitshörigkeit der Bevölkerung, die alten, noch immer mitmischenden Nazis beispielsweise. „Die Stadt war ein guter Platz für unsere Revolution“, sagt er.
Den Eltern zuliebe studierte er Jus, mit dem Fach stünde ihm immer ein Türchen offen, war seine Überlegung, er brachte es nach 14 Semestern sogar zum Dr. jur.. Die Musik war ihm stets wichtiger, und so ließ er sich mit seinem Studium Zeit, war lieber in Proberäumen als in den Hörsälen. Oder wie er es beschreibt: „Die Prüfer in der juridischen Fakultät haben mich nicht suchen lassen.“ Zu den Staatsprüfungen ließ er sich für die nötige Seriosität von einer Freundin die langen Haare mit Haarspray und Klammern an den Kopf kleben. Seine Promotionsurkunde hat er jedenfalls abgeheftet und damit alles, was mit der Juristerei zu tun hatte. Das Jus-Studium habe ihm wohl geholfen, wenn später komplexere Verträge begutachtet werden mussten, sein „Instrument“ war von Anfang an aber nicht das ABGB, sondern das Schlagzeug. Auch wenn ihm stets klar war, dass sich als Musiker von der Steiermark aus nur schwer die große weite Welt erobern ließe – zumindest zur damaligen Zeit.
1972 stieg er bei der Band „Magic 69“ ein, die unter anderem von Günter Timischl, der später zum „T“ von STS wurde, und Carl Peyer, der mit dem von Thomas Spitzer und Nino Holm geschriebenen und von Boris Bukowski produzierten Song „Romeo und Julia“ seinen Durchbruch hatte, gegründet wurde. Boris Bukowski war zunächst Schlagzeuger, später Sänger und Frontman. Bevor die Band zu „Magic“ wurde und in der Oststeiermark, dem Südburgenland bis nach Wien große Bekanntheit erlangte, gab es noch eine Zäsur zu bestehen: Der alte Kinosaal, den man sich gemeinsam mit Wilfried und seiner Band als Probebühne teilte, brannte komplett nieder, einschließlich der Musikinstrumente. Am nächsten Tag engagierte die Band einen Fotografen, die Bandmitglieder Bukowski, Robby Musenbichler, Andi Beit, Erich Reinberger und Günter Timischl setzten sich in ihrer mit einem Feuerzeug angeflammten Kleidung vor ein Plakat, auf dem stand: „Magic, die Rockband, die noch Feuer hat.“ Pleite, aber mit dem Willen, jetzt richtig Gas zu geben, marschierte man ins Musikgeschäft, um sich „auf Pump“ die besten Instrumente zu kaufen. Mit „Magic“ ging es dann auch wirklich bergauf, die Band coverte Songs und trat in Gasthäusern auf, oft sechs Stunden lang, sogar aus Wien pilgerten Fans in den Süden Österreichs. Nach drei Alben, elf Singles und vielen Auftritten war 1980 Schluss. Das Fatale, rückblickend gesehen: Als man sich für die dritte Platte gegen die bisher gespielten deutschsprachigen Schlager für Rockmusik auf Englisch entschloss, schwappte die Neue Deutsche Welle über das Land. Wieder alles auf Deutsch, aber doch ganz anders. Man hatte musikalisch auf das falsche Pferd gesetzt.
Mit seinem Bandkollegen und späteren Keyboarder der EAV, Andi Beit, gründete Boris Bukowski ein Tonstudio, in dem die ersten Alben von EAV und STS produziert wurden, doch das Studiogeschäft lief nicht recht berauschend. 1985 nahm Boris Bukowski die von seiner Tante geerbte Garconniere als Sicherheit für einen Bankkredit, mit den 100.000 dort abgeholten Schilling finanzierte er sein erstes Solo-Album mit dem Song „Fritze mit der Spritze“. Die Solokarriere kam in Fahrt, sein „Kokain“ war textbedingt zwar nicht unbedingt radiotauglich, aber der Musiker wurde damit über die Grenzen Österreichs bekannt. Ihm wurde sogar von EMI Deutschland ein Plattenvertrag zugesichert, der letzten Endes aber platzte. Was den steirischen Musiker nicht daran hinderte, mit den großen Tonstudios in München zusammenzuarbeiten, wo in den Achtzigerjahren ein- und ausging, was Rang und Namen hatte: Mick Jagger, Frank Zappa, Freddie Mercury.
Seine künstlerische Bilanz, das sind 14 Platten, eine Hauptrolle in einem Spielfilm („Das Glück liegt in Waikiki“ von Peter Patzak) und ein Buch. Was hat seine Karriere vorangetrieben, Disziplin, Konsequenz? „Wenn man sich trauen will, muss man wissen, wo das Sicherheitsnetz ist“, sagt Boris Bukowski. Wer sich auf ein großes Abenteuer einlassen möchte, muss die Grenzen erkennen. Das trifft für ihn auch auf Drogen zu. So ließ er die Finger von Rauschmitteln, deren schwere Auswirkung bekannt waren, bei leichteren Drogen setzte er klare Grenzen – um letztlich festzustellen, dass er ohnehin in nüchternem Zustand am kreativsten ist. Musikalische Kreativität bedeutet für ihn heute, am Computer zu arbeiten, mit dem sich nahezu jedes Instrument und jeder Sound einspielen lässt. Für die Studioarbeit hingegen holt er sich Profimusiker, Christian Eigner, den Schlagzeuger von Depeche Mode beispielsweise. Seine letzte Platte „Gibt’s ein Leben vor dem Tod?“ wurde von Presse und Publikum gefeiert, der Titel bekam schlagartig eine andere Bedeutung, als beim Musiker im Vorjahr Krebs diagnostiziert wurde. „Ich habe gedacht, ich bin unbesiegbar“, erzählt der sportlich recht aktive 77-Jährige. Seine Disziplin half ihm schließlich, die Krankheit zu überwinden, nicht zuletzt, weil er mit großem Ehrgeiz an seiner körperlichen Fitness arbeitete, um die heftigen Nebenwirkungen der Chemotherapien gut vertragen zu können. Auch wenn er sich miserabel fühlte, raffte er sich auf und spazierte für drei Stunden im Wald.
Heuer wird sein Bühnenjahr, („Ich bin ein Bühnentier!“), die Konzerte, die er krankheitsbedingt absagen musste, werden nachgeholt, ein paar neue sind dazugekommen. Und dort ist Vollgas angesagt: „Wenn ich auf der Bühne bin, ist es mir ein Anliegen, nicht so gut zu sein wie ich vorher war, es muss besser werden. Ich muss mir die größten Sterne am Himmel vornehmen, sonst reicht mir das nicht.“