Herr Röhrling & die Musik

Schiffkowitz, das zweite „S“ aus der Band STS, ist fernwehgeplagt, hielt sich aber zuletzt auf Geheiß der Regierung brav daheim auf. Keine Flucht auf die Lieblingsinsel Kreta, Internet gibt’s bei ihm sowieso keines, bald hoffentlich aber wieder eine Bühne. 

Wie man ihn richtig anspricht? Herr Schiffkowitz? Herr Röhrling? „Ich höre auf beides“, sagt Helmut Röhrling, besser bekannt als Schiffkowitz und zweites „S“ der legendären Band STS. In Zeiten von Corona telefonieren wir, der Musiker hält sich strikt an die Vorschriften der Regierung. „Schließlich zähle ich als starker Ex- und noch immer Gelegenheitsraucher zur gefährdeten Zielgruppe“, sagt er. Von Röhrling zu Schiffkowitz wurde er, als sein Freund, der Musiker Boris Bukowski, vor vielen Jahren befand, der Name Röhrling habe zu wenig Rock ’n‘ Roll. Als sie bei einer Baustelle vorbeigingen und auf einem Schild den Namen des Architekten Szyszkowitz lasen, war auch der passende Künstlername gefunden. Die Band STS gibt es nicht mehr, das Musikmachen kann Herr Schiffkowitz dennoch nicht lassen. Wenn es die Situation zulässt, wird er wieder mit dem Pianisten Markus Schirmer auf der Bühne sein.

Manche Dinge ändern sich nicht, auch nicht im Alter. 74 wird der Künstler heuer, die Musik ist noch immer sein Leben, der kritische Blick auf die Gesellschaft hat sich nicht geändert, auch wenn der Revoluzzer von gestern heute brav befolgt, was die Regierung von ihm verlangt, nämlich als Teil einer gefährdeten Gruppe daheimzubleiben, wenn ein Virus die Gesundheit bedroht. Seinen Drang, in die Welt hinauszukommen – vor allem auf seine Lieblingsinsel Kreta – bremst er coronabedingt ein. Fernweh war ja ursprünglich sein Antrieb für den Song „Fürstenfeld“, der eigentlich ironisch in Richtung jener Personen gemeint gewesen war, die ihre Heimat nicht verlassen wollten, aber letztlich „völlig falsch verstanden wurde“, erklärt Schiffkowitz am Telefon. „Das Schicksal wollte offenbar, dass ich als Mensch mit unstillbarem Fernweh eine Heimweihhymne geschaffen habe.“ Und was ist Heimat für ihn? „Hören Sie sich mein Lied ,Heimat’ an. Da gibt es nichts mehr hinzuzufügen“, sagt er.

„Ich habe immer versucht, nicht mit dem Mainstream mitzuschwimmen, ohne Rücksicht darauf, was die Leute sagen.“

Aufgewachsen ist Helmut Röhrling in Sinabelkirchen und Fürstenfeld, seine Kindheit auf dem Land beschreibt er als recht idyllisch. Die halbe Zeit habe er im Wald und auf dem Bauernhof verbracht, die Eltern seien Beamten gewesen, die Verhältnisse, in denen er groß wurde, waren eher ärmlich, dennoch war die Kindheit unbeschwert. Bis das Schulheim kam. Dort begann ein Leben voller Einschränkungen, Überwachungen und zweifelhaften Befehlen, deren Begründung oft ein lapidares „weil ich es sage“ war. „Diese Zeit würde ich gern ersatzlos streichen und einbetonieren mit dem ganzen radioaktiven Müll“, sagt Schiffkowitz. Aus der ohnehin vorhandenen revoluzzerischen Grundhaltung sei dadurch ein richtiges Autoritätenproblem geworden, erzählt der Musiker. Als junger Erwachsener habe er jedenfalls versucht, anders als die Eltern zu leben, „weniger verzopft, wir haben uns als Rebellen gesehen, vor allem kulturell. Und ich habe immer versucht, nicht mit dem Mainstream mitzuschwimmen, ohne Rücksicht darauf, was die Leute sagen.“ Und er wollte das Leben auskosten: Rock ’n‘ Roll, freie Liebe und was sonst noch dazugehörte. Auf der anderen Seite geht er bis heute in seiner politischen Grundhaltung keine Kompromisse ein und trat auch bei STS-Konzerten gegen politisch rechte Ideologien auf.

„Es kommt schon vor, dass ich im Studio mit meinem pedantischen Chaos alle wahnsinnig mache.“

Die musikalische Karriere begann nach der Matura, sein Freund Boris Bukowski hatte damals eine Band, der Gitarrist musste zum Bundesheer, so bat er seinen Freund Helmut, einzuspringen. Anfangs skeptisch, ob er diese Herausforderung stemmen könne, sagte er zu und blieb, nachdem der ursprüngliche Gitarrist nach dem Bundesheer das Instrument an den Nagel hängte. Es waren die 1960er-Jahre, die Band spielte, was „über den großen und kleinen Teich“, also aus Amerika und England, in die Steiermark kam. Die Anfänge von STS sind nicht klar belegt, man habe gegen Ende der 1960er-Jahre schon zusammengespielt – eine kurze Zeit sei man auch bei der Ersten Allgemeinen Verunsicherung gewesen. Dass er mit „Fürstenfeld“ und Gert Steinbäcker mit „Großvater“ emotional gewaltige Lieder geschrieben haben, ist ihm durchaus bewusst. Er relativiert aber zugleich: „Wirklich zufrieden bin ich nie. Es gibt zwar ein paar Songs, auf die ich stolz bin und die ich heute noch genauso machen würde. Aber ich finde im Nachhinein bei fast jedem Takt etwas, das ich anders machen hätte können. Es kommt schon vor, dass ich im Studio mit meinem pedantischen Chaos alle wahnsinnig mache“, sagt er.

Inmitten seiner musikalischen Karriere wechselte er auch einmal zum Schreiben, es gibt ein Buch von ihm mit dem Titel „Wir sind die, vor denen uns unsere Eltern gewarnt haben“, in dem er die Interviews auf seinen vielen Reisen, meist per Autostopp – nach Griechenland, in die Türkei, nach Schweden, England, Spanien, Italien und die USA -, für den Radiosender Ö3 festgehalten hat. Das Schülerheim, in dem er keine Sekunde mit sich alleine sein konnte, habe ihn sehr geprägt, „ich bin hysterisch, was mein Privatleben betrifft“, erzählt er. Dass Schiffkowitz eine App begrüßt, die vor infizierten Menschen in der Umgebung warnt, erstaune deshalb seine Freunde sehr, erzählt er. „Da geht’s jetzt halt ums Überleben.“

„Leben ist das, was passiert, während du dabei bist, andere Pläne zu schmieden.“

Über sein Leben zu reden liegt ihm nicht so besonders, „Google weiß über mich mehr als ich selbst“, sagt er und lacht. Herr Schiffkowitz hat kein Internet, wenn er etwas braucht, ruft er jemanden an, der gern Zeit aufwendet, in den digitalen Weiten der Welt nach Informationen zu suchen. „Ich bin auch ohne Internet gut beschäftigt.“ Er ist zudem bescheiden, was Besitz betrifft. Sein Fixpunkt ist Kreta, wo er seit 40 Jahren seinen Urlaub verbringt, stets im selben Ort, in derselben Pension. Während die meisten seiner Musikerkollegen in ihren „Auszeitorten“ eigene Immobilien haben, hat Schiffkowitz darauf bewusst verzichtet, „zu viel Arbeit und es hätte mich gestresst, weil man dann nur mehr dorthin fahren muss.“ Pläne für die Zukunft macht er nicht gern, Musik macht er, wann die Idee da ist, dem Zeichnen und Malen – Röhrling wollte früher eigentlich auf die Kunstakademie gehen, studierte jedoch in Graz zuerst Anglistik und Germanistik, dann Architektur und zwischendurch Psychologie und Kunstgeschichte – widmet er nun auch mehr Zeit. „Ich hasse es, zu planen, weil es eh immer anders kommt“, sagt er und lacht. Auf längere Sicht fixierte Konzerttermine müssten sein, aber sonst hält er es mit John Lennon, der einst sagte: „Leben ist das, was passiert, während du dabei bist, andere Pläne zu schmieden.“

Dass er sich im letzten Drittel seines Lebens befindet, nimmt er nicht so einfach hin. „Jeder Mensch hat Angst vor dem Unvorhergesehenen. Niemand kann einem sagen, was danach passiert. Die es wissen, können es nicht mehr sagen.“ Dennoch denkt er gern an Pfarrer Pepi Fink zurück, den Gründer des Kulturzentrums bei den Minoriten, einen sehr gläubigen Menschen, der mit noch nicht einmal 60 Jahren gestorben war und stets gefordert hatte: „Wer bei meinem Tod nicht tanzt, dem ist nicht zu helfen.“

 

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Daniela Müller
Beitrag veröffentlicht am 17. Juli 2020
Fotos: Marija Kanizaj