Gar nicht wenige jener jugendlichen Schönheiten, die von der legendären Grazer Adresse Schumanngasse 6 aus den Sturm auf den Missenthron in Angriff genommen hatten, sind heute bereits Großmütter, manche sogar Omas +. Und eine Dame blickt besonders stolz auf diese steirische Erfolgsgeschichte zurück: Missenmutter Elfi Ortner. Wir waren bei ihr zu Gast – wenige Wochen vor ihren 98.sten Geburtstag, den sie am 18. Juni feierte.
„Aber liebe Frau Ortner, Bier allein wird’s vermutlich nicht ausmachen, dass sie so schlank geblieben sind und immer noch viel jünger aussehen?“ Die Antwort braucht die Dame nicht lange zu überlegen, die hat sie schon oft genug gegeben: „Keine Nudel, keine Erdäpfel, keine Knödel. Das ist keine Diät von mir, die drei Sachen habe ich schon als Kind nicht mögen. Reis als Beilage ja, Brot – nicht allzu viel – esse ich auch, aber sehr gerne Obst und Gemüse. Ich koche auch und ganz besonders liebe ich, das glaubt mir fast niemand, Schweinsbraten.“
Jene Elfriede Josefa Dziewulski ist, die einst auszog, um als „Frau Elfriede Ortner“ in der Steiermark zur Pionierin einer Branche, die wie keine andere Träume, Sehnsüchte, Lebensgefühle, allererste Gesellschaft verbunden mit einer Briese Märchenwelt verkörperte, galt bis zuletzt noch als die unverwechselbare „Grande Dame“. Für Abenteuer Alter ließ die ebenso charmante wie rüstige Dame gerne jene Jahrzehnte nochmals Revue passieren, die sie zur Symbolfigur von mehr als einem halben Jahrhundert Grazer Gesellschaft werden ließen.
Man erfährt so einiges über jene Damen – es befinden sich übrigens auch Herren darunter -, die ihren Lebensweg von der Modepionierin der ersten Nachkriegsjahre zur Ikone der steirischen Missen- und Mannequin-Szene gekreuzt haben.
Das Licht der Welt erblickt hatte Elfi Ortner im Hause ihrer Großeltern mütterlicherseits in Stanz im Mürztal und bald nach der Geburt ging es wieder zurück nach Graz in die Schmölzergasse, wo Vater Dziewulski, Sohn einer polnischen Einwandererfamilie schon ungeduldig darauf wartete, sein Töchterchen in die Arme nehmen zu können.
Dort im Grazer Bahnhofsviertel verbrachte Klein-Elfi ihre Kindheitsjahre – eine trotz aller widrigen Zeitumstände unbeschwerte Kindheit. „Mir ist es“, blickt sie auf diese Jahre zurück, „immer gut gegangen. Mein Vater hat immer eine Arbeit gehabt, ich könnte mich nicht erinnern, dass wir je gehungert hätten und meine Mutter war wie meine Großmutter gelernte Schneiderin, sogar Schneidermeisterin, hat ihren Beruf aber nie ausgeübt. Sie hat für die Familie da sein wollen, für den Vater und mich, und sie hat für mich nicht nur alles genäht, man könnte sagen, sie hat mich gerne aufgeputzt.“
Die Lehrzeit begann, bis zum „Fräulein“ sollte es noch dauern. Charmant, bildhübsch, artig, aber nicht auf den Mund gefallen tat sich die junge „Dschiwi“, wie sie von ihren Freundinnen gerufen wurde, trotz der Wirtschaftskrise nicht schwer, selbst im Jahre 1937 einen Lehrplatz als Verkäuferin zu finden. „Das war die Papierhandlung Strohschneider in einem kleinen Haus am Ende der Neutorgasse am Murufer vor der Franziskanerkirche. Der Chef war ein lieber, großzügiger Herr und ich habe insofern ein ganz besonderes Glück gehabt, als ich auch nebenbei die Kunstgewerbeschule besuchen durfte und mein Maltalent bei Alfred Wickenburg und Fritz Silberbauer entfalten konnte. Ja und ich bin sogar mit dem Adolf Osterider in einer Klasse gesessen.“
Inzwischen war der Zweite Weltkrieg ausgebrochen, „Dschiwi“ besuchte weiter die Schule, malte gut und fleißig und gewann einen Berufswettbewerb mit einem Stipendium für die Kunstakademie in München. „Aber meine Eltern haben mich aus Graz nicht weglassen, zu groß war ihre Sorge um mich.“
Statt Studium in München folgte aber der Reichsarbeitsdienst in der Untersteiermark, „wobei ich“, erinnerte sich Elfi Ortner, „mit meiner Stelle als Sekretärin in Marburg noch ein besonderes Glück hatte. Nicht nur weil es eine angenehme Arbeit, sondern für mich auch lebensrettend war. An einem der letzten Apriltage des Jahres 1945 erhielt ich einen Anruf von meinem Chef: Sofort fertigmachen, nur Papiere mitnehmen, in einer Stunde wartet unten vor dem Tor ein Auto! Aus. Aufgelegt.“
„Tatsächlich bog ein Kastenwagen um die Ecke, hielt kurz an, ich konnte mich nur mit größter Mühe in das vollbesetzte Innere zwängen, irgendjemand zog bereits im Anfahren die Türe zu und dann raste der Lenker, ein Soldat, was das Zeug hielt in Richtung Graz. Erst da habe ich im Gespräch mit anderen Insassen erfahren, dass es nicht mehr eine Frage von Stunden, sondern nur noch von wenigen Minuten war, dass wir den einrückenden Partisaneneinheiten entkommen konnten und dass unser Gefährt ein Leichenwagen der SS war.“
Damals stand in ihren Papieren bereits Elfriede Ortner zu lesen, den am 20. Jänner 1945 hatte sie dem feschen Frontoffizier Hauptmann Günther Ortner am Grazer Standesamt ihr Jawort gegeben.
Heute lacht sie über die Trauungsszene, damals war ihr dazu nicht so zumute: „Da wollte doch eine gewisse Dziewulski einen Offizier der deutschen Wehrmacht heiraten. Dziewulski, das klang in manchen Ohren zu wenig deutsch. Das war höchst hinterfragenswert, da musste man schon einmal genauer hinschauen. Aber schließlich sagte der Standesbeamte im Grazer Rathaus seine NS-vorgegebenen Formeln auf, ein Eid auf den …, wir wissen schon, und dann war man Mann und Frau.“
In den ersten Nachkriegsjahren pendelte das junge Ehepaar vorwiegend zwischen Dornbirn, der Heimatstadt ihres Mannes, und Graz, immer auf der Suche nach Arbeit. Günther fasste schließlich in der Elektrobranche Fuß, Elfi zog es von der Messe- und Auslagendekorateurin hin zur Mode, wo ihre Karriere mit dem Vorführen von Regenmänteln begann. Schließlich erwarben die jungen Eltern – Tochter Sieglinde war im Jahre 1946 zur Welt gekommen und wurde von der Oma liebevoll betreut – die Bombenruine Lazarettgasse 47, räumten, sanierten und richteten schließlich im Parterre einen Elektrogroßhandel ein, im ersten Stock eine Wohnung, in der Elfi bis zuletzt noch residierte.
„Mehr als 7 000 Mädchen und Burschen gingen durch meine Mannequinschule.“
Während wir mit ihr auf ihrer Terrasse plauderten, klingelt es an der Wohnungstüre. „Ach ja, das wird die Titica sein, die hat gestern angerufen und gesagt, dass sie vorbeikommt.“ Vorher anzurufen, das war das oberstes Gebot, ungeschriebenes Gesetz, wenn man bei Elfi Ortner vorgelassen werden wollte. Dafür ist sie dann perfekt geschminkt, trägt eine wohlfrisierte Perücke und ein Outfit passend zu Wetter, Anlass und Tageszeit. Eine Elfi Ortner hätte auch nie ein Lokal betreten, wo nicht zuvor ein Tisch für sie telefonisch reserviert worden wäre. Dann erschien die „Grande Dame“ – so geht Noblesse.
Da fügt es sich auch ins Gesamtbild, dass ihr ständiger Begleiter gräflichem Geblüt entsprossen war. Es war im Jahr 1949, als sie in Graz einen zwar schüchternen, aber vielleicht gerade deswegen als besonders liebenswert empfundenen jungen Jurastudenten kennenlernte, der sie später als Lebensmensch in – wie sie nicht müde zu betonen wird – platonischer Freundschaft bis zu seinem Tod begleiten wird. „Liebe Frau Ortner, Hand aufs Herz, rein platonisch?“ Da wandte sich ihr Blick leicht verklärt in lichte Ferne und diese Antwort ist auch eine: „Reden wir übers Wetter.“ Der „Kari“, wie sie ihn liebevoll nennt, hieß mit Vornamen Carl Anton, war später Senatsrat beim Magistrat Graz und stammte aus dem Hause der Grafen von Montecuccoli degli Erri.
Die Begegnung Titica Roschka – Elfi Ortner spiegelt jene liebevolle Herzlichkeit wider, die den Ehrentitel „Missenmutter“ selbst erklärt. Eine Mutter war sie nicht nur für die Damen, die das begehrte Krönchen errangen, sondern auch für die rund 7.300 Mädchen und auch Herren wie dem verstorbenen Kulturstadt Dipl.-Ing. Helmut Strobl, die bei ihr die „Laufsteg-Matura“ ablegten. Frau Ortner war da, wenn es Grund zum Feiern gab, sie war da, wenn es einer Schulter zum Ausweinen brauchte.
Immer wieder bekam sie Besuch von früheren Kursabsolventinnen, wie eben von Titica, die 1973 zur Miss Austria gekürt nach Differenzen mit dem Veranstalter Erich Reindl sich die Missenschärpe nicht umhängen lies und damit den Weg für Roswitha Kobald freimachte, die dann in den USA eine Glanzkarriere startete. Dann schaut wieder einmal Ulli Harb-Leitold, nunmehr Sebach vorbei, ihres Zeichens 1986 Miss Styria und im selben Jahr Miss Austria. Und viele andere.
Bis zur Eröffnung einer Mannequinschule bzw. bis zum ersten Kurs sollte es mühevoller und finanziell risikoreicher Weg werden. Unkenrufe waren für Elfi Ortner eher eine provozierende Herausforderung als dass sie die junge Dame von etwas abhalten konnten und selbst die Prophezeiung, sie würde mit einer eigenen Schule ebenso weit kommen, wie man ein Klavier werfen könne, verfehlte ganz eindeutig jede abschreckende Wirkung. Seitdem in Paris für sie die Entscheidung gefallen war, stand unumstößlich fest: eine Schule muss her.
Die neue Institution sollte schon von ihrem Namen her die Faszination der Ebene über dem gesellschaftlichen „Normalnull“ verbreiten und so taufte man sie „Schule für Charme und Anmut“. Am 26. Jänner 1961 gab es in den Räumlichkeiten Schumanngasse 6 eine Pressekonferenz zur Eröffnung und das Medienecho war gewaltig, der Reiz der Neuheit garantierte für Schlagzeilen und die die Südost-Tagespost titelte sogar: „Man kann jetzt in Graz Mannequin studieren“.
Ein gewisses Niveau
„43 Schülerinnen habe ich gleich in meinem ersten Kurs gehabt, obwohl die Teilnahmegebühr – das muss ich zugeben – nicht gerade billig war, aber das war eine Art Schutzmaßnahme, damit man von Anbeginn an ein gewisses Niveau garantieren konnte.“
Die Ortner-Mädels – inzwischen Absolventinnen der „Mannequin- und Dressmenschule Ortner“ – hatten die Aufmerksamkeit ohnedies auf ihrer Seite, der erste ganz große Paukenschlag aber ließ dann 1968 die Szene erbeben: die Bruckerin Eva Rueber-Staier wurde zur Miss Austria gekürt und stand ein Jahr später bei der Wahl zur Miss World ganz oben am Podest – eine Obersteirerin war ausgezogen, um der Welt schönste Frau zu werden.
Zehn Damen aus der Ortner-Riege hatten bis zum 1995 die weiß-grünen Farben bei den Wahlen zur Miss Austria erfolgreich verteidigt, Sunny Hausleitner war 1990 die Vorletzte und Dagmar Perl fünf Jahre später die Letzte. Elfi Ortner zog sich allmählich aus dem Geschäft zurück, schloss die Schule und für die Steiermark begann eine beinahe 25 Jahre andauernde Durststrecke, der erst Larissa Robitschko 2019 ein Ende bereitete.
Hier noch kurzes Videoausschnitt vom gemeinsamen Gespräch. Liebe Elfi, der Ehrenplatz im Modehimmel ist dir bestimmt.