Die stärksten Frauen von Allen

Was sind das für Leute in der Hospizbewegung, die Menschen in der letzten Lebensphase und ihre Angehörigen begleiten?

Es gehört Einiges dazu, an der Seite von Mitmenschen zu sein, die in der ultimativen Lebensphase sind. Man denkt an Gestalten mit kräftigen Geistes- und Seelenmuskeln, aber tatsächlich sind es Menschen wie du und ich. Diese Erkenntnis machte der Autor bei einem Einführungsseminar für Hospizbegleiter als einer von drei Männern unter 22 Frauen. Sogar altersmäßig ist die Gruppe bester Durchschnitt. Fünf Frauen und Männer, die schon im Pensionsalter sind, standen in dem Seminar des Hospizvereins zehn unter
40 Jahren gegenüber. Es sind keineswegs überwiegend Seniorinnen und Senioren, die sich dieser Aufgabe stellen. 

S o bunt gemischt wie das Alter sind die Lebensumstände des angehenden Hospizpersonals. Von der Pensionistin bis zum Diplomingenieur sind alle beruflichen Erfahrungen vertreten. Für die Seminarleiterin ist diese Buntheit der Lebensentwürfe sogar vorteilhaft und keinesfalls ein Hindernis in der Begleitung der Menschen. Die meisten Teilnehmer haben in der engeren Familie Erlebnisse mit Angehörigen im letzten Lebensabschnitt und erzählen der Runde mit großem Ernst und Engagement davon. Viele haben erlebt, wie schwer sich Menschen in dieser Lage tun und erzählen von der Hilflosigkeit, die sie empfunden haben. Sie ist ihnen Ansporn, die Ausbildung zur Hospizbegleitung zu machen. Sie stellen kluge Fragen zu Themen, die ihnen noch fremd sind, und scheuen sich nicht, sich mit der heiklen Problematik auseinanderzusetzen. Die Offenheit und Ehrlichkeit des Gesagten sind überraschend und wohltuend. Man bekommt Einblicke in die Lebenswelt von Menschen, die Nachbarn sein könnten, und fragt sich, ob es hinter der Wohnungstür der wirklichen Nachbarn auch solche reichen Lebenserfahrungen gibt.

Manche Teilnehmer sagen ganz offen, sie wollen diese Ausbildung nur machen, wenn sie nicht mit Glaubensfragen konfrontiert werden. Man spürt, welche Wunden die Kirche einigen Menschen aktiv oder passiv zugefügt hat. Die Seminarleiterinnen erklären ebenso offen, dass Religiöses kein Teil der Ausbildung ist und kein Glaubensbekenntnis vorausgesetzt wird. Sie erzählen aber, dass die meisten Menschen, die sich für eine Mitarbeit im Hospizwesen entschieden, dies auch aus religiösen Motiven tun. Aber auch und gerade sie sind angehalten, sich bei der eigentlichen Begleitung in dieser Hinsicht zurückzuhalten. Beschwerden, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter eines Hospizteams bei der Begleitung einer hilfsbedürftigen Person etwa „zu viel betet“, hat es in 30 Jahren noch nie gegeben, kann man hören. Niemand weiß, ob jemand durch die Hospiztätigkeit (wieder) zu einem Gottglauben gefunden hat, und gleichzeitig geistert der Gedanke durch’s Gehirn, dass wahrscheinlich noch keine Helferin und kein Helfer dabei den Glauben verloren hat.

Wer wie der Autor bei diesem Seminar einmal in Kontakt mit den Aktiven im Hospizwesen gekommen ist, wird sie nie vergessen. Die Frauen und (wenigen) Männer, die das ehrenamtlich tun, strahlen ausnahmslos etwas Positives aus. Sie haben sich der Begleitung von Mitmenschen in ihrem ultimativen Lebensabschnitt verschrieben, treten aber nicht – wie man so sagt – „in Sack und Asche“ auf und sind keine weltfremden Betschwestern. Sie stehen mitten im Leben, gehen den Schattenseiten nicht aus dem Weg und begegnen der Sache und den Betroffenen auf eine besondere Art: mit energischer Behutsamkeit.

Die selbst gewählte Aufgabe scheint ihnen kraftvolle Energie zu geben. Ein Blick in die Runde bekräftigt den Eindruck, hier eine besondere Gruppe anzutreffen: die stärksten Frauen, die man sich vorstellen kann. Dasselbe gilt natürlich auch für die wenigen Männer. Es ist die Kraft, die aus der Bereitschaft kommt, in schwierigen Situationen anzupacken und nicht wegzuschauen. Sie gehen auf Mitmenschen konkret ein und handeln nicht beliebig, sie gehen der Herausforderung am Ende eines Lebens nicht aus dem Weg, sondern stellen sich ihr.

Es ist nicht angebracht, im Zusammenhang mit der Betreuung sterbender Mitmenschen ein internationales Ranking zu bemühen. Aber was Frauen in der Steiermark beim Aufbau der Hospizbewegung in rund 30 Jahren zustande gebracht haben, verdient höchste Anerkennung. Mehr als 800 Frauen (und wenige Männer) stehen im Bundesland fast rund um die Uhr bereit, um Menschen in ihrer finalen Lebensphase beizustehen und deren Angehörige zu begleiten und zu entlasten. Diese Zahl muss man in Relation setzen zu den jährlichen Todesfällen in der Steiermark. Bei rund 11.000 Menschen, die uns pro Jahr verlassen, zählt das Land mehr als 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hospizvereins. In wahrscheinlich keinem Land der Welt ist die Chance so groß, im Fall des Falles entsprechende Hilfe zu bekommen. Die Hospizbewegung kann ihre Leistungen bei uns fast flächendeckend erbringen. Das ist ein großer „Luxus“, den alle zu schätzen gelernt haben, die damit in Kontakt gekommen sind.

Erst seit 2022 ist die Hospizbegleitung in Österreich ein regulärer Bestandteil der Krankenversorgung in Österreich und nicht mehr eine unverbindliche freiwillige Leistung von Privaten. Zwar gab es dafür schon zuvor Budgetgelder von Bund und Ländern, die Hospizvereine waren aber Bittsteller. Seit 2022 gibt es einen Rechtsanspruch auf die Finanzierung von Hospizteams, Tages- und stationären Hospizen, mobilen Palliativteams oder Palliativkonsiliardiensten. Damit stellt die Politik sicher, dass Personen, die diese Art von Hilfe brauchen, sie auch unabhängig von ihrer familiären Lage bekommen. Im Sozialministerium wird ein Fonds aufgebaut, der bis 2024 auf 108 Millionen € aufgestockt wird und dessen Erträge für die Hospiz- und Palliativversorgung zweckgewidmet sind.

An der Freiwilligkeit der Hospizbegleitung wird die finanzielle Besserstellung nichts ändern. Sie wird aber dazu beitragen, dass diese Dienste wirklich überall flächendeckend angeboten werden können, dass die Ehrenamtlichen wenigstens die
Fahrtkosten erstattet bekommen und dass ihre Ausbildung und Qualifikation auf höchstem Niveau gewährleistet ist.

Während die Politik sonst sehr darauf achtet, dass ihre Leistungen bekannt werden, blieb die staatliche Aufwertung der Hospiz- und Palliativbegleitung weitgehend unbeachtet. Das ist ganz im Sinne der Akteuren, denn ihr Interesse ist ohnehin nicht öffentliche Aufmerksamkeit, sondern die bestmögliche Begleitung der Menschen in ihrer schwierigsten Lebensphase.

Text von Johannes Kübeck
Beitrag veröffentlicht am 19. Dezember