Den jüngsten Spross der Dynastie kennt man aus dem Fernsehen, Renate Rosbaud. Ihr Vater ist mit seiner markant-sonoren Stimme noch älteren ORF-Hörern ein Begriff, sein Onkel Hans ist ausgezogen, um weltberühmter Dirigent zu werden. Dessen Bruder Paul hat Hitlers Atompläne scheitern lassen. Eine spannende Familiengeschichte.
Renate Rosbaud erinnert sich noch gut an jenen freundlichen älteren Amerikaner, der in ihrer Schulzeit bei ihren Eltern für Wochen zu Gast war, mit ihrem Vater Wilhelm gemeinsam steirische Archive, Pfarrchroniken und Taufregister durchackerte. Es war niemand anderer als Arnold Kramish, seines Zeichens Atomphysiker, Mitarbeiter in vorderster Reihe am Manhattan Project, in dessen Rahmen die erste Atombombe gebaut wurde, renommierter Wissenschaftsautor, dessen bekanntestes Werk „The Griffin“, zu Deutsch „Der Greif“ – so der Deckname Paul Rosbauds – die Lebensgeschichte des „vergessenen“ Spions in einem packenden Agententhriller der Nachwelt zugänglich macht. Arnold Kramish starb 87-jährig im Jahre 2010.
Kramishs akribisch genaue Recherchen beweisen nicht nur, dass Paul Rosbaud jener Mann war, der in ständiger Lebensgefahr unter dem Deckmantel des Wissenschaftsjournalisten die Alliierten über den Stand der deutschen Kernforschung informierte, auch für die Verfassung des vielzitierten „Oslo-Reports“ zuständig war, zahlreichen jüdischen Freunden und Kollegen zur Flucht verhalf, seine Nachforschungen erhellen auch erstmalig die Herkunft der Rosbauds. Denn mehr als der Hinweis „in Graz geboren“ findet sich in den üblichen Nachschlagewerken kaum etwas über die Jugendjahre der beiden Brüder.
Die „Urahnin“ war Anna Rosbaud
Die zentrale Figur, Ahnherrin dieser „Rosbaud Saga“ wird Anna Rosbaud sein, eine faszinierende Frau, Pianistin, Kämpferin, Geliebte, vierfache Mutter und – Alleinerzieherin. Geboren 1856 in Graz in einem Haus, das finanziell schon bessere Zeiten erlebt hatte, adelige Mutter, einst wohlhabender Vater, genoss das musikalisch ungewöhnlich begabte Kind eine mit den letzten Ersparnissen der Familie finanzierte Ausbildung zur Pianistin und wurde schließlich Klavierlehrerin, die Kindern der ersten Grazer Familien Klavierunterricht erteilte und sogar mit Clara Schumann während deren Graz-Gastspiel musizierte.
„Paul Rosbaud hat in ständiger Lebensgefahr unter dem Deckmantel des Wissenschaftsjournalisten die Alliierten über den Stand der deutschen Kernforschung informiert.”
Jetzt, gerade 26 Jahre alt geworden, verliebte sie sich in Franz Heinisser, den erst 18jährigen Sohn des Organisten der Grazer Stadtpfarrkirche. Nicht ohne Folgen. Bald nach dem Weihnachtsfest des Jahres 1881 bemerkte Anna Rosbaud, dass sie schwanger war, Graz hatte seinen Skandal, Anna Rosbaud kein Zuhause mehr. Hinausgeworfen von den Eltern, mit einer Abfindungssumme von den Heinnissers versehen und mit einer kleinen Wohnung im Grazer Bahnhofsviertel hielt sie sich mit Klavierunterricht über Wasser. Und Franz, der frischgebackene Vater wurde auf eine Orgelbauerlehre nach Salzburg geschickt. Diesen ersten Sohn Bruno gab Anna Rosbaud zu einem Belgrader Tischlermeister, wo der Kleine in seinen Talenten gefördert sich zu einem ausgezeichneten Musiker entwickelte. Im Zweiten Weltkrieg wurde er dann Anführer einer Partisanengruppe im Kampf gegen die deutschen Besatzer. Ein Todesfall in der Nachbarschaft Anna Rosbauds bot den Anlass für ein Wiedersehen mit Franz Heinnisser – neun Monate später im Jahre 1895 kam Johann Rosbaud, später als der Dirigent Hans Rosbaud international anerkannt und berühmt, auf die Welt. Aber es sollten noch drei weitere Rosbaud-Kinder folgen.
Nach einigen Monaten fand sich bei einer Hochzeit in der Nachbarschaft die Gelegenheit für ein abermaliges Wiedersehen mit dem inzwischen verheirateten und zum Domchorleiter aufgestiegenen Franz Heinnisser und – ab dem 18. November 1896 gab es einen Paul Rosbaud. Für Anna wurde es finanziell immer enger, sie flüchtete mit ihren beiden Buben Hans und Paul vor ihren Gläubigern 1897 in ein Landhaus am Grazer Ruckerlberg, das wiederum gehörte zufällig einer Familie Heinnisser –
im selben Jahr noch wurde die Tochter Martha geboren, für die eine Pflegefamilie am Lande gefunden wurde. Damit nicht genug, es folgte noch eine Tochter Anna.
„Mein Vater hat sich Zeit seines Lebens bemüht, etwas über seinen Vater, dessen Herkunft und Schicksal zu erfahren. Vergeblich.”
Diese Tochter Anna hatte im Ersten Weltkrieg einen deutschen Offizier kennen und lieben gelernt und noch ehe der Krieg aus war, gebar sie 1918 Wilhelm Rosbaud. Der Offizier blieb im Krieg verschollen. Renate Rosbaud: „Mein Vater hat sich Zeit seines Lebens bemüht, etwas über seinen Vater, dessen Herkunft und Schicksal zu erfahren. Vergeblich. Das hat ihn Zeit seines Lebens beschäftigt.“ Damit teilte er auch das Schicksal seiner beiden Onkeln Hans und Paul, denen die Mutter nicht einmal am Totenbett, als sie im Jahre 1913 an Brustkrebs starb, die Identität ihres Vaters preisgegeben hatte.
„Ersatzväter“ für Hans und Paul
Franz Heinisser hatte für die Söhne Hans und Paul eine Art Ersatzväter gesucht, unerkannt im Hintergrund jedoch immer für deren Ausbildung gesorgt. Paul hatte sich als Freiwilliger im Jahre 1915 für den Fronteinsatz gemeldet, war 1918 in britische Gefangenschaft geraten und konnte sich mit britischer Lebensart anfreunden. Beide Brüder fanden nach dem Krieg sogar Zugang zu Prinz Alexander Friedrich und lebten eine Zeitlang auf dessen Schloss Panske in der Holstein’schen Schweiz. Hans wurde bald Direktor der Städtischen Musikschule Mainz, Paul studierte an der Technischen Hochschule in Darmstadt Chemie, später dann an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg, wo ihn das Phänomen der Röntgenstrahlen maßlos faszinierte.
Bald nach seinem Doktor-Abschluss hatte Paul Rosbaud Hilde Franck, die Tochter eines reichen jüdischen Holzhändlers, geheiratet, im Jahre 1927 kam Tochter Angelika auf die Welt. Mutter und Tochter mussten vor den Nationalsozialisten nach England fliehen, Paul Rosbaud sah seine Familie erst wieder nach dem Krieg. Allein die Tatsache der Judenverfolgung ließ ihn die NS-Diktatur verachten und zu einem Kämpfer gegen das Regime werden. Seine Waffen waren seine Beziehungen und sein Wissen. Autor Arnold Kramish kommt nach seinen Recherchen zum Schluss: „Durch Rosbaud wussten die Briten über das deutsche Atomprogramm alles, was sie wollten, von Anfang an und dann den ganzen Krieg hindurch.“
Dabei arbeitete Rosbaud selbst nicht in der Forschung, sondern als Wissenschaftsjournalist. Schon ab 1927 als Berater und Redakteur der „Metallwirtschaft“ und später als Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift „Die Naturwissenschaften“. Der Wissenschaftsjournalismus bot ihm die Plattform für die Pflege internationaler Kontakte, ließ ihn bis Kriegsausbruch nach Cambridge kommen, ermöglichte ihm aber auch während des Krieges ständig Reisen nach Dänemark, Norwegen und Schweden. Schon zuvor im Jahre 1938 hatte er Lise Meitner zur Flucht verholfen, Otto Hahn erinnert sich in seiner Biografie „Mein Leben“: „Mit Hilfe unseres langjährigen Freundes Paul Rosbaud wurden in der Nacht die notwendigsten Kleider und Wertgegenstände Lise Meitners gepackt.“ Die Physikerin floh per Bahn zu Niels Bohr und später über Stockholm weiter ins kalifornische Berkeley.
Der britische Geheimdienst MI6 (Military Intelligence Section 6) hatte Rosbaud den Codenamen „The Griffin“ – „Der Greif“ gegeben. Für den „Greif“ war es jedenfalls nicht immer leicht, seine Auftraggeber vom Wert der Information zu überzeugen. So glaubte ihm der britische Geheimdienst den Bericht über die Raketenanlage Peenemünde so lange nicht, bis die ersten V2 Stadtteile von London in Schutt und Asche legten. War Paul Rosbaud auch Verfasser und Überbringer des „Oslo Reports“, eines der bekanntesten Dokumente in der Geschichte der gesamten Spionage des Zweiten Weltkrieges? Seine Person wird auch weiterhin die mystifizierende Rätselhaftigkeit von wahrscheinlich nie gelöst werdenden Fragen umgeben. Von seiner Grundeinstellung her Monarchist brachte er der damaligen Linken große Sympathien entgegen, war Nazi-Hasser, nicht ohne auch dort einige gute Freunde zu haben.
Rosbaud selbst kam nach dem Attentat des Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 in schwerste Bedrängnis, aus der ihm – nationalsozialistische – Freunde halfen. Nach Kriegsende wurde er in einer Uniform aus Berlin hinausgeschleust und traf in London seine Frau Hilde wieder, nachdem er während des Kriegs ziemlich offiziell mit seiner Sekretärin Ruth Lange zusammengelebt hatte, auch seine Liaison mit Annemarie Belz war kein Geheimnis. In London baute er für den Springer Verlag eine Tochtergesellschaft auf, die Bücher dafür hatte er ab dem Jahre 1943 bei Graf Johann Otto Herberstein in der Oststeiermark deponiert.
Hans Rosbaud, der „Radio-Dirigent“
Der Musiker-Bruder Hans Rosbaud wurde in jungen Jahren bereits als Genie gefeiert, das als eines der ersten den Nutzen des neuen Mediums Rundfunk erkannte, erhielt von Kulturkritikern den Titel „Radio-Dirigent“, da er dem Publikum via Äther auch Inhalt und Instrumente erklärte. Nach dem Krieg dirigierte er von US-Streitkräften eingesetzt die Münchner Philharmoniker, war dann Chefdirigent des neu gegründeten Sinfonieorchesters des Südwestfunks in Baden-Baden und übernahm schließlich das Tonhalle Orchester und die Oper in Zürich. Seinen internationalen Ruf erarbeitete er sich nicht nur durch Aufführungen von großen Werken der Vergangenheit, sondern vor allem auch durch seine Zusammenarbeit mit Paul Hindemith, Igor Strawinsky, Arnold Schönherr und den daraus resultierenden Uraufführungen wie Schönbergs Opernoratorium „Moses und Aron“ in Hamburg. Als einer der ganz wenigen Dirigenten widersetzte der damals hochschwappenden Stereowelle und schwor weiter auf den Monoklang – heute wird er dafür von Kennern enthusiastisch gefeiert. Er starb 67-jährig am 29. Dezember 1962 in seinem Haus in Carabietta am Luganersee, nur 30 Tage später, am 28. Jänner 1963, folgte ihm sein nicht ganz zwei Jahre jüngerer Bruder Paul.
3. Generation: Wilhelm Rosbaud
Wilhelm Rosbaud, Sohn von Anna, der Schwester Hans’ und Pauls’, Jahrgang 1918, blieb die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg nicht erspart, doch er überstand ihn, unversehrt. Es war sein überragendes kulturelles Wissen, das ihm geholfen hatte, zu überleben. So wurde er immer wieder zur Truppenbetreuung abkommandiert, veranstaltete Lesungen, organisierte Konzertabende. Nach dem Krieg führte ihn der Weg über die Redaktion der Neuen Zeit direkt zum Rundfunk, damals noch Sendergruppe Alpenland. „Das war es“, was mein Vater gewollt hatte, „Radio war sein Leben.“ Was sich ursprünglich nicht unbedingt in den Berufswünschen seiner Tochter reflektierte.
Tochter Renate begann nach der Matura mit dem Germanistikstudium und um die Sache abzurunden, studierte sie gleichzeitig und im Eiltempo auch Kunstgeschichte. Eine Journalistenkarriere wäre ihr in die Wiege gesungen gewesen, allein die junge Dame hatte sich eine berufliche Zukunft als Theaterdramaturgin in den Kopf gesetzt. Letztendlich hatten jedoch die väterlichen Gene von Vater „Willi“ Rosbaud, dem Doyen der steirischen Rundfunkjournalisten, gesiegt. Die ersten ORF-Beiträge seiner Tochter konnte er nicht mehr hören – er starb im Jahre 1993, seine Tochter nahm 1995 zum ersten Mal vor dem Mikrofon Platz – wo sie auch bald erfuhr, was es heißt, ins kalte Wasser geworfen zu werden. Bergwerkskatastrophe von Lassing, 1998; Bombenleger Franz Fuchs, Berichterstattung aus Sarajewo, Interviews mit Michail Gorbatschow, Stardirigent Valery Gergiev. Seit 2007 betreut sie neben ihrer Arbeit als Redakteurin die Sendung „Bei Tier daheim“ und seit 2017 präsentiert sie „Steiermark heute“.