Er schwingt mit 66 Jahren noch das Skalpell und nicht schon den Spazierstock. Er hat heuer sogar die Leitung der Herzchirurgie am LKH-Uniklinikum in Graz übernommen. Er entspannt beim Fliegenfischen, schwärmt für Goethes Faust, mag gerne Wienerschnitzel. Günther Laufer, Medizin-Koryphäe und Chirurg auf der steten Suche nach der perfekten Operation.
Am Gang wuselt es nur so von Frauen und Männern in weißen Kitteln. Sie telefonieren, stecken die Köpfe zusammen, besprechen. Manche grüßen. Manche nicht. Professor Laufer, der Mann mit den goldenen Händen, die schon gut 10.000 Operationen durchgeführt haben, ist noch in der Morgenbesprechung. Als er kommt, zieht Humor am Klinikgang ein. Kurze Absprache mit der Sekretärin. Und ab ins Büro. Interview.
„Ich habe mich schon im Gymnasium für Naturwissenschaften interessiert. Vor allem für die angewandte Naturwissenschaft, das Unmittelbare, den Menschen“, erzählt Laufer von seiner frühen Faszination für die Medizin – und speziell für das Herz. Denn: „Macht man etwas am Herzen, hat man immer einen unmittelbaren Effekt. Man sieht sofort, wie es gelaufen ist. Wenn ein Herz wieder schlägt, weiß ich, dass ich etwas Gutes gemacht habe. Diese Unmittelbarkeit, dieses direkte Eingreifen können, hat mich einfach fasziniert.“ Und es war nicht zuletzt auch diese Faszination, die den Grundstein für die in Österreich beispiellose Mediziner-Karriere gebildet hat, die der gebürtige Wiener in den kommenden Jahrzehnten hinlegen sollte.
Noch gut kann er sich an die erste Operation erinnern, die er völlig selbstständig durchgeführt hat: „Ich war gerade einmal 30. Es war eine Bypass-Operation in Wels. Ich war unglaublich aufgeregt, aber auch hoch konzentriert. Ich weiß noch gut, dass ich während der nächtlichen Fahrt zurück nach Wien immer wieder auf der Klinik angerufen und nachgefragt habe, wie es dem Patienten geht.“ Dem ging es gut. Wie Tausenden anderen auch, die Laufer während der vergangenen 40 Jahre operiert hat. Seine Passion für die Herzchirurgie und sein außergewöhnliches Können brachten den engagierten Mediziner auch bald in führende Positionen. Er übernahm die Leitung der Herztransplantation in Wien und machte sie mit bis zu 91 Transplantationen im Jahr zu einer der weltweit führenden Abteilungen auf diesem Gebiet. Auch Hauptverantwortungen rund um Herzklappenbank und Herzschrittmacher lagen bald in Laufers Händen. Im Jahr 2000 folgte mit der Übernahme der Herzchirurgie in Innsbruck der nächste Karriereschritt – oder besser gesagt: Laufer hat die Herzchirurgie dort überhaupt erst so richtig ausgebaut, wie auch die Kinderchirurgie. „Schwerpunktmäßig haben wir damals die minimal-invasive Herzchirurgie forciert“, blickt der Mediziner zurück – und auch gleich wieder nach vorn: „Als es die Möglichkeit gab, die Leitung der Herzchirurgie am AKH zu übernehmen, bin ich nach neun Jahren wieder nach Wien zurückgekehrt. Dort war ich 14 Jahre. Und seit dem heurigen Jänner bin ich nun in der Herzchirurgie in Graz tätig.“ Österreichische Medizingeschichte im Schnellzugverfahren. Laufer ist damit der einzige Mediziner des Landes, der an drei Universitätskliniken Abteilungen geleitet hat.
Das Skalpell gegen den Spazierstock zu tauschen war für den passionierten Chirurgen nämlich trotz seiner 66 Jahre keine Option. „Ich liebe einfach reizvolle Aufgaben. Es ist ja schön, wenn man ein ganzes Spektrum an Erfahrung an jüngere weitergeben kann. Und ich operiere natürlich auch noch unglaublich gerne“, argumentiert der renommierte Herzchirurg seine Entscheidung für Graz. Und setzt ganz á la Laufer nach: „Ein neues Umfeld verhindert außerdem den Alterungs-Prozess.“ Freude und Dankbarkeit darüber, dass ihm die körperliche wie geistige Fitness für die herausfordernde Arbeit nach wie vor gegeben ist, will der Mediziner nicht verhehlen. Vor allem auch, weil er sich nicht gerade als ausgewiesenen Gesundheitsapostel bezeichnen würde: „Ehrlich gesagt mache ich da sicher zu wenig. Aber ich habe vor, das in der Pension zu ändern.“ Wenngleich: „Ich trainiere regelmäßig mit Kugelhanteln und beuge so Kreuzschmerzen vor. Denn die Arbeit, bei der man schon einmal fünf Stunden durchgehend am OP-Tisch steht, geht vor allem auf die Hals- und Brustwirbelsäule. Das sind bei Chirurgen ganz wunde Punkte. Und da beuge ich wirklich vor und bin bis auf einen Bandscheibenvorfall eigentlich recht fit.“
Das mag auch an einem anderen Ausgleich liegen, den sich der passionierte Chirurg trotz 7-Tage-Woche zwischendurch immer wieder gönnt: dem Fliegenfischen. „Diese Leidenschaft habe ich von meinem Vater, der mich schon als Bub mit zum Fischen genommen hat. Mit vier Jahren habe ich meine erste Forelle gefischt“, gerät Laufer ins Schwärmen, wenn er von Anglererlebnissen erzählt. Und davon, wie sich das Wasser um ihn herum laufend verändert, mit ihm die Landschaft und alles ständig im Fluss ist – in einer unaufhaltsamen, entspannten Dynamik. „Man kann nie ein zweites Mal in einen gleichen Fluss hineinsteigen“, philosophiert der Chirurg und zitiert Heraklit. Diese Dynamik fasziniere ihn, ebenso wie die Subtilität des Fliegenfischens: „Da muss man dem Fisch ein Angebot machen, ihn einladen, förmlich verführen. Das ist ein subtiles Spiel mit Kunstfliegen, die tatsächlich auch kleine Kunstwerke sind – behutsam, so dass sie den Fisch nicht verletzen.“ Und dann gleich ganz pragmatisch: „Aber die Beute kommt natürlich ab und an auch in die Pfanne. Wenn auch nicht von mir zubereitet. Ich bin, was das Kulinarische angeht, nämlich eher auf der Verbraucherseite“, outet sich Laufer zwar als Antitalent in der Küche, aber als durchaus großen Genussmenschen. Bezüglich einer vielgespriesenen Ernährungsregel hat der Hobbyfischer da allerdings so seine Bedenken: „Zwei Mal in der Woche Fisch zu essen, halte ich für nicht umsetzbar. Würde das konsequent geschehen, wären sämtliche Gewässer in kürzester Zeit leergegessen.“ Was den eigenen Speiseplan angeht, würde dieser allerdings durchaus die eine oder andere gesunde Korrektur vertragen. „Äpfel und Nüsse sind da zwar regelmäßig vertreten, ebenso aber auch Schnitzel, Schweinsbraten oder gebackene Kalbsleber“, schmunzelt Laufer. Denn: „Man kann das Leben ja nicht völlig in der Askese verbringen.“ Er greift zu seiner Müslischale mit Joghurt und Beeren, und lässt gleich auch wieder den Arzt sprechen: „Übergewicht sollte man natürlich verhindern. Sport und Bewegung tun immer gut. Und Maß halten ist für die Gesundheit sicher wichtig.“
Für Laufer gehören da aber unbedingt auch Humor, Spaß, die Fähigkeit zur Selbstironie und ein harmonisches Privatleben dazu. Und Glücksgefühle. Die größten empfindet er, „wenn eine Operation gut gelungen ist. Wenn man diesen unmittelbaren Erfolg, das schlagende Herz, sieht, macht das absolut glücklich – ja, sogar süchtig. Grundsätzlich sorgen bei mir aber alle neuen Herausforderungen für ein positives Lebensgefühl. Wer rastet, der rostet. Geistige und körperliche Herausforderungen sind ein Jungbrunnen.“
„Aber“, räumt die Koryphäe ein, „es kann natürlich nicht immer alles harmonisch und wohlgefällig sein; es braucht auch eine gewisse Streitkultur. Wir sind Menschen und wir haben Emotionen. Das muss auch kanalisiert werden, sonst entstehen zwanghafte, unterdrückte, neurotische Prozesse. Außerdem ändert sich nichts, wenn nicht auch konstruktiv gestritten wird.“
Ganz auf Harmonie setzt der Herzchirurg hingegen im Privatleben: „Meine Frau ist Transplantations-Chirurgin in Wien. Ich bin während der Arbeitswoche in Graz, da ist die gemeinsame Zeit ohnehin beschränkt.“ Zwischen Wien und Graz pendelt der Mediziner übrigens gerne mit der Bahn und mindestens so gerne auch mit dem Auto: „Ganz ohne Musik, nur mit dem Klang des Motors in den Ohren.“ In puncto Musik ist Laufer übrigens ein klassischer Klassiker: „Mit zeitgenössischen Inszenierungen kann ich mich nicht wirklich anfreunden. Ich mag diese Verzerrungen nicht, genieße lieber die einzigartige Schönheit der Urform.“ Auch in der Literatur haben es ihm die großen Klassiker angetan. „Da ist Goethes Faust mein Werk Nummer eins. Den lese ich immer wieder, kann viele Passagen auswendig“, outet sich Laufer als großer Faust-Fan und zitiert: „,Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält.‘ Da ist doch die Problematik der gesamten menschlichen Existenz thematisiert – das Sein, die Sexualität, die Moral.“ Laufer doziert leidenschaftlich, offenbart andere Passionen, die es da neben der Herzchirurgie wohl noch gibt – Shakespeare etwa und seine Königsdramen. „Ach, es gibt so vieles, das mich interessiert“, lehnt sich Laufer entspannt zurück, schaut auf die Uhr, greift zum Telefon und erkundigt sich nach dem Befinden eines Patienten. Um gleich wieder bei Shakespeare zu landen: „Wenn man die wichtigsten Shakespeare-Dramen liest, braucht man keine Management-Ausbildung. Da ist alles drinnen, was man braucht.“ Das Telefon läutet, Laufer antwortet kurz. Die Sekretärin klopft, erinnert an die nächsten Termine. Es wird abgesagt, verschoben, eingeschoben … „Wie viele Stunden meine Arbeitswoche hat?“ wiederholt Laufer und lacht. „24/7, also nichts mit Work-Life-Balance. Meine Arbeit ist meine Passion. Ich verstehe ohnehin nicht, warum man zu einer Passion ein Gegengewicht, ein Life, brauchen sollte. Das, was ich tagtäglich mache, erfüllt mich absolut. Das betrifft nicht nur die Arbeit am OP-Tisch. Ich rede ja auch mit meinen Patienten – über ihren Beruf, wie die Operation erlebt wurde, wie es ihnen jetzt geht. Ich finde das übrigens sehr bedenklich, wenn man am Montag im Radio hört: super, nur mehr vier Tage bis zum Wochenende, weil am Freitag ist Feiertag. Das ist der völlig falsche Weg, denn ich ziehe ja auch Kraft aus dem, was ich mache. Das hat viel mit Selbst-Wertschätzung zu tun. Aber alle wollen die Wertschätzung von anderen bekommen – das halte ich für den falschen Weg.“
Wohl auch eines der Geheimnisse für seinen Erfolg – ebenso wie Laufers ausgeprägter Hang zur Selbstreflexion: „Es braucht die strenge Selbstreflexion und das Nicht-Tolerieren von schlechten Ergebnissen, um gut zu sein und vor allem, um besser zu werden. Und das muss auch ein lebenslanges Ziel sein. Wenn ich das Gefühl habe, es hätte besser sein können, dann kann ich auch zu Mitarbeitenden unangenehm sein. Mit ,wir sind eh so super‘ wird man nicht besser.“
Es braucht immer das kritische Selbsthinterfragen. Das Ziel muss immer sein, die perfekte Operation zu schaffen. Mein persönliches Ziel ist stets die Suche nach der perfekt durchgeführten Operation. Da geht es nicht mehr um für den Patienten merkbare Ergebnisse, da geht es oft um Kleinigkeiten, die meine ganz eigene Herausforderung sind. Die muss man anpeilen.“ So ist Laufers Arbeit über die Jahrzehnte auch nie zur gefährlichen Routine geworden, sondern stets Passion, Herausforderung und der Drang zum perfekten Eingriff geblieben.
Was hier nach dem absoluten Perfektionisten klingt, beschränkt sich allerdings auf den OP-Tisch: „Zu Hause sagt meine Frau oftmals, ich sei schlampig. Auch auf meinem Schreibtisch zeigt sich ab und an eine gewisse kreative Unruhe. Das ist dann der Ausgleich zur Perfektion bei der Arbeit. Wenn man diese in allen Bereichen des Lebens hat, wird man ja zum Monk.“
Blick auf die Uhr. Schluck aus dem Wasserglas. Und dann: „Auch wenn die Arbeit noch so Spaß macht, man merkt natürlich, dass man nicht jünger wird.“ Laufer nähert sich dem Thema Ruhestand. Aber: „Nicht, um zu ruhen, sondern um Dinge zu machen, die jetzt zu kurz kommen. Reisen etwa, Städte bewusst anschauen, die ich jetzt nur von Kongressen her kenne. Länder und Gegenden kennenlernen, wie etwa die Toskana. Rad fahren. Ein Studium beginnen – Philosophie zum Beispiel. Wieder Schach spielen; das habe ich früher oft gemacht. Tarock lernen. Mehr Fliegenfischen – in Kanada, Alaska oder Sibirien. Durchaus auch noch das eine oder andere operieren. Abgehen wird mir letztlich aber sicher trotzdem etwas. Aber man muss den pace of life auch einmal herunterschrauben. Zu viel planen darf man für die Zukunft allerdings auch nicht, denn es kommt letztlich sehr oft anders, als man denkt.
Und wie wird es um die Herz-Chirurgie stehen, wenn Laufer beim Fliegenfischen und auf Städtereisen ist? „Da wird in Zukunft viel mit Roboter-Chirurgie und Künstlicher Intelligenz gearbeitet werden. Disziplinen werden enger zusammenarbeiten. Für die Prävention von Gefäßerkrankungen werden zunehmend effiziente Medikamente zur Verfügung stehen, sodass sich das Risikoprofil der Patienten wesentlich verbessert. Schweineherzen werden weiterhin keine große Rolle spielen – auch das Herz aus der Retorte wird nicht funktionieren. Das Spenderherz bleibt also Thema.“
Das Telefon klingelt. Laufer hebt ab: „Ich bin gleich bei dir!“ Er lacht – und schließt mit Faust: „Der Worte sind genug gewechselt …“