Jede Zeit hat ihren Lugner. Nicht nur die unsere kann in den letzten Dezennien mit einem solchen aufwarten, auch die Monarchie hatte den ihren. Eine Nummer größer sogar.
Es war im „Fin de Siècle“ ein adeliger Industriellensohn aus Graz, der, hätte es damals schon so etwas wie ein TV gegeben, den perfekten k. u. k. Seitenblicker abgegeben hätte. Beide haben sich ein Denkmal gesetzt – der Wiener mit der Lugner City, der Grazer mit einem Hotel, das Portorož vom kleinen istrianischen Fischerdorf zum international begehrten Nobelkurort aufsteigen ließ, dem legendären „Palace Hotel“, das heute als Fünf Sterne „Kempinski Palace Hotel“ den Charme dieser einstigen Noblesse in die Gegenwart mitgenommen hat.
Hans Reininghaus
Man schrieb das Jahr 1907, als der damals vierzigjährige Johann Friedrich von Reininghaus, bekannt als Hans von Reininghaus, beschloss, in der malerischen Bucht von Portorož ein Hotel zu errichten. Nicht irgendeines, sondern eines, das sämtliche Maßstäbe an bisher gebotenem Komfort sprengen sollte. Als Architekt beauftragt wurde ein gewisser Johann „Giovanni“ Eustacchio aus Buje, Sohn jenes Angelo Eustacchio, der zum Ahnherren der großen steirischen Eustacchio-Familie werden sollte. 1908 wurden die Bauarbeiten aufgenommen und nach nicht einmal zwei Jahren konnten die ersten prominenten Gäste im Luxustempel, der schönste an der oberen Adria neben dem Excelsior in Venedig, wie die Zeitungen schwärmerisch berichteten, ab 20. August 1910 ihre Zimmer beziehen.
Man speiste im Kristallsaal, genoss den betörenden Duft von hunderten Rosenstöcken und Lorberbäumen, suchte den Schatten der Pinien und Zypressen oder zog sich in die Ruhe des Lesesaals zurück. Zu den Thermen gab es eine direkte Verbindung. Alles hatte Architekt Eustacchio, der in Graz studiert hatte, in seinen Planungen berücksichtigt, nur die Grundwassersituation nicht – Frischwasser musste täglich per Tankschiff herbeigeschafft werden, was aber für die Gäste keine Minderung des Komforts bedeutete.
In nur zwei Jahren Bauzeit war das Luxus-Hotel fertiggestellt – und in fünf Jahren pleite.
Nachdem der technisch begabte und vor Ideen sprudelnde Hans Reininghaus diese auch in die Baugestaltung einfließen ließ, hatte sich die kalkulierte Bausumme in der Endabrechnung mit 2.257.100 Kronen nahezu verdoppelt. Johann Eustacchio erlebte allerdings die Eröffnung „seines“ Hotels nicht mehr, er starb mit nur 40 Jahren am 7. Juli 1909 in Wien. In imperialer Pracht geprägt von einer behutsam abgestimmten Mischung von Historismus, Wiener Sezession und Neorenaissance entfaltete sich ein gesellschaftliches Leben, das der Projektentwickler und Financier Hans von Reininghaus sehr genoss und für seine PR-Zwecke einzusetzen wusste. Richard Lugner hätte bei ihm bestimmt Know-how Anleihen zeichnen können. Einzig bei der Zahl der geschlossenen Ehen hat ihn Lugner überflügelt. Waren es beim Wiener Baumeister insgesamt fünf, so hielt Reininghaus bei drei an. Davon sollte die erste jedoch nicht nur für längere Zeit die Tagesthemen in der monarchischen Zeitungslandschaft vorgeben, sondern auch den Grund liefern, dass sich Sorgen- und Zornesfalten auf des Kaisers Stirn zeigten. Aber davon etwas später.
Das Palace Hotel setzte neue Maßstäbe in punkto Glanz und Gloria zur Endzeit der Monarchie.
Ein Lieblingsneffe erinnert sich noch gut an Onkel Hans und auch an dessen erste Gattin Tante Gina.
„Abenteuer Alter“ konnte mit einem liebenswürdigen Herrn, der das Grazer „Luschin-Schlössl“ am Rosenberg bewohnt, sprechen, der diesen Hans von Reininghaus nicht nur gut kannte, sondern auch dessen Lieblingsneffe war. Würde die Monarchie noch existieren, würde er sich Georg Graf Künigl von Ehrenburg nennen, so ist er einfach Diplomingenieur, der beim Land Steiermark als Experte für den Autobahnbrückenbau arbeitete, sich als Hofrat in den Ruhestand verabschiedete und heuer seinem Neunziger entgegensieht.
„Der Onkel Hans war ein Herr, der auch im Alter noch eine charismatische Ausstrahlung versprühte, groß, fesch, eloquent, interessiert an allem, wusste viel und hielt damit auch nicht zurück. Das konnte mitunter anstrengend werden, wenn er auf langen Spaziergängen bei seinem Wochenendhaus in Edelschrott dir als jungem Menschen die Budgetgestaltung erklärte. Oder seine Fahrten nach Wien. Weil er Angst vor dem Einschlafen im Auto hatte, durfte ich mit ihm immer wieder in seinem stromlinienförmigen Tatraplan mit dem markanten Schrägheck in die Bundeshauptstadt fahren. Aber ich habe dadurch so viel von seinem bunten spannenden Leben erfahren können, auch von seiner Expeditionsreise am Nil bis in den Sudan im Jahr 1905.“
Der „Onkel Hans“, geboren 1867 in Graz, war in seinen jungen Jahren ein talentierter Universalsportler, fuhr mit dem Hochrad sogar von Graz bis München, wo er recht enttäuscht war, dass die festliche Beflaggung der Isar-Metropole nicht ihm, sondern dem Oktoberfest galt. Er war ein sieggewohnter Turnierreiter, forcierte mit Max Kleinoscheg den Skisport, zählte Peter Rosegger, Alexander Girardi und den Bildhauer Hans Brandstetter zu seinen engsten Freunden, nannte eines der ersten Autos in Graz sein Eigen und stieg konsequenterweise zum ersten Präsidenten des steirischen Automobilclubs als frühen Vorläufer des ÖAMTC auf, zählte zu den besten Schachspielern der Monarchie und war so ganz nebenbei eine technische Begabung. Nur ein kleines Beispiel: die Drehtür – ein Patent von Hans Reininghaus.
Nach mehreren „Hafenrundfahrten“ steuerte auch ein Hans Reininghaus den Hafen der Ehe an. In Triest hatte er die bildhübsche und blitzgescheite Gina, Tochter des berühmten Portraitmalers Tito Agujari kennen gelernt und sich Hals über Kopf in die Sechzehnjährige verliebt, die er alsbald – man schrieb das Jahr 1896 – vor den Traualtar führte. Der Ehe entsprossen sechs Kinder, wovon der älteste Sohn Peter von Reininghaus ab 1920 für 50 Jahre die Geschicke des Unternehmens Reininghaus leiten wird.
Aber weswegen verschlug es den Grazer Hans Reininghaus in das verträumte, damals (noch) österreichisch-istrianische Portorose, dem Rosenhafen? Georg Künigl erinnert sich an alles, was man in der Familie darüber erzählte: Nachdem seine Mutter Therese Reininghaus schon in Abbazia das Hotel Quisisana besaß, sah sich der Sohn an der gegenüberliegenden Seite von Istrien in Piran und Portorose um – und wurde fündig, indem er dort 1907 die Leitung der Portorose Aktiengesellschaft übernahm. Seine Handschrift sollte sofort sichtbar werden, denn ein Jahr später begann schon der Bau des Hotels Palace. Damit stellte das Jahr 1907 einen Meilenstein im Leben des Grazer Adeligensprosses in zweifacher Hinsicht dar – er trug sich mit den Plänen für das Hotel, ein anderer mit solchen betreffend seine attraktive Frau.
„Als 1901 der Vater von Onkel Hans, Peter Reininghaus, der gemeinsam mit seinem schon früher verstorbenen Bruder Julius Reininghaus die Grazer Brauerei-Dynastie begründet hatte, plötzlich verschied, war es nicht Hans, bis dahin als Prokurist im Betrieb tätig, der die Brauerei führen sollte, seine Mutter Therese übernahm gemeinsam mit einem Schwiegersohn die Leitung. Hans aber steckte voller Ideen, wollte sich beweisen und Geld dazu besaß er auch.“
Niemand anderer als der damalige Chef des Generalstabes, Franz Conrad von Hötzendorf, vor Jahren schon Witwer geworden, verliebte sich unsterblich in die 27 jüngere Virginia „Gina“ von Reininghaus, die vorerst seinem Liebeswerben Folgendes beschied: „Sieben Gründe sprechen dagegen – sechs Kinder und ein Ehemann.“
Die bildhübsche Triestinerin Virginia „Gina“ Augjari, geschiedene Reininghaus und spätere Gattin von Feldmarschall Franz Conrad von Hötzendorf
Jenes Glück, das dem späteren Feldmarschall im ersten Weltkrieg auf allen Frontlinien versagt geblieben war, konnte er dafür durch Hartnäckigkeit bei seiner Angebeteten erringen. 1915 wurde diese Art einer „Menage à trois“ Hans Reininghaus zu viel und er reichte die Scheidung ein. Aus für die Ehe, ein Aus auch für das Hotel. Bedingt durch die Einschränkungen des Krieges schlitterte es nach fünf Jahren Mondänität, in denen Hoch- und Geldadel dort allerhöchsten Luxus genossen hatten, sogar Kronprinz Franz Ferdinand seine Gattin Gräfin Sophie Chotek dort zum Tanz geführt hatte, in die Insolvenz. Ein mäßiger Betrieb in der Zwischenkriegszeit, anschließend Beschlagnahme durch das Militär, erst durch das deutsche, dann nach dem Zweiten Weltkrieg durch das jugoslawische. Dann die Auferstehung in den Wirtschaftswunderjahren als neuerlicher Treffpunkt für Schön & Reich.
Der internationale Jetset liebte das Palace Hotel und selbst Marschall Tito war dort Stammgast.
Staatschef Josip Broz Tito liebte es genauso wie Yul Brynner, wie Winnetou Pierre Brice oder Sophia Loren, um nur einige zu nennen. Zu Beginn der Siebzigerjahre der große architektonische Sündenfall: In den prachtvollen Park setzte man unansehnliche Kioske, die den Blick auf das Meer verstellten, diente sich dem zunehmenden Autoverkehr mit dem Bau einer Straße mit zwei Spuren an – jeweils eine davon für das Parken. Das Palace Hotel verlor erst seinen Charme, daraufhin sein Publikum. 1980 war zum ersten Mal Schluss und nach einigen erfolglosen Wiederbelebungsbemühungen kam mit 1990 das endgültige Aus.
Erst nach einer völligen Neuordnung der Besitz- und Zuständigkeitsverhältnisse konnte im Jahr 2003 eine bis 2008 dauernde, umfassende 70 Millionen teure Sanierung das Hotel mit der Kempinski-Gruppe als Betreiber wieder unter den Top-Fünf-Sterne-Palästen positionieren. Und wie ging es mit den handelnden Personen von einst weiter? Georg Künigl erinnert sich: „Tante Gina, die Ex-Gattin von Hans, die wir ja auch gut kannten und von ihrem Klavierspiel immer fasziniert waren, wurde bereits 1925 Witwe, starb selbst 1961 im Südbahnhotel am Semmering, wo sie die letzten Lebensjahre verbracht hatte. Sie war nie wieder eine Ehe eingegangen. Onkel Hans hatte in unserer Gegenwart nie über sie gesprochen, er heiratete noch zwei Mal und lebte glücklich mit seiner letzten Frau, der Apothekerin Elisabeth Seidl in einer eher kleinen Wohnung in der Glacisstraße 5 in Graz. Das Schloss Hardt in Thal hatte er verkauft, hatte aber 1927 den inzwischen trocken gelegten Thalersee wieder zu einer beliebten Freizeiteinrichtung für die Grazer ausgebaut. 1959 war er noch bei meiner Graduierung zum Diplomingenieur dabei, starb aber noch im selben Jahr nach einem Schlaganfall im Alter von 92 Jahren.“
Richard Lugner hat mit seiner Lugner City ein bauliches Denkmal und Hans von Reininghaus? Hat eben jüngst auch eines bekommen: Im neuen Stadtviertel Reininghauspark trägt ein Wohnblock – fünf Stockwerke, 20 Wohnungen – den Namen „Haus Johann Dietrich“. Hans nannten ihn ja außer der Familie nur die vielen Freunde und Bekannten.