Günther Krabbenhöft und Britt Kanja erfrischen mit ihrem stilvollen Auftreten seit Jahren das Straßenbild Berlins. „Sei einfach du“ ist ihr Motto. Warum „anders zu sein“ trotzdem nicht immer einfach ist, erzählen sie in einem sehr persönlichen Videogespräch.
G ünther Anton Krabbenhöft erlangte als „Hipster-Opa“ über Nacht international Berühmtheit. Vor einigen Jahren stand der heute 77-Jährige elegant gekleidet wie immer in einer Berliner U-Bahn-Station, als ein Tourist ihn fotografierte und das Foto ins Netz stellte. Es wurde innerhalb kürzester Zeit millionenfach geteilt. Heute gilt er als Stil-Ikone und hat sogar ein Buch geschrieben: „Sei einfach du“. Vor acht Jahren traf er Britt Kanja, sie wurden Freunde und erfrischen mit ihrem modischen Schick und eleganten Benehmen Berlins Straßen und so manche Glamourparty. „Abenteuer Alter“ erreichte die beiden über Videocall in Berlin. Britt Kanja trägt ein creme-olivfarbenes Outfit mit passendem Hut, Günther Krabbenhöft Weste, Hemd mit Fliege in den Farben Hell- und Dunkelblau und einen Bogart-Hut.
Es ist eine Freude, Sie so zu sehen! Neben Ihnen fühlt man sich sehr „underdressed“. Tragen Sie diese Kleidung auch, wenn Sie sich privat am Sonntag zum Kaffeetrinken treffen?
Britt Kanja: Wir sind immer so gekleidet und leisten ästhetischen Widerstand – ich gehe nicht aus dem Haus, ohne mich wohlzufühlen. In meinem Kleiderschrank befindet sich nur, was zu mir passt, doch ich muss mich in dem, was ich trage, bewegen können. Zuhause bin ich gerne etwas legerer.
Günther Krabbenhöft: Für mich ist der Inbegriff der Lässigkeit, im Pyjama und einem schönen Morgenmantel den Tag zu vertrödeln oder Dinge zu machen, zu denen man sonst nicht kommt. Das bin ich mir wert, das möchte ich haben, ich möchte mich gut fühlen in jeder Stunde des Tages.
Wie haben Sie sich kennengelernt?
Krabbenhöft: Britt, vor acht Jahren war das? (Britt Kanja nickt.) Wir lernten uns bei einer Vernissage kennen, beim Schleifenladen meines Vertrauens (Krabbenhöft beugt sich nach vor und zeigt seine Masche in die Kamera). Als wir uns das erste Mal gesehen haben, stellte sich für uns die Frage: Wo warst du so lange, wo hast du dich versteckt, warum tauchst du jetzt erst auf?
Kanja: Günther war mit einer Freundin unterwegs, die zuerst zu mir kam und wir verbrachten dann den gesamten Abend als Dreiergespann. Günther und ich stellten fest, dass wir einen ähnlichen Stil – außen wie innen – bevorzugen.
Günther Krabbenhöft schaffte es auch deshalb zu medialer Prominenz, weil er regelmäßig im Berghain anzutreffen ist. Dieser Club in Berlin ist Sehnsuchtsort vieler Menschen auf der ganzen Welt, die dorthin pilgern, mit der bangen Frage: Komme ich wohl am strengsten wie berühmtesten Türsteher der Welt vorbei?
Wie war das bei Ihnen, Herr Krabbenhöft?
Ich hatte da keine Probleme, zwei Mädels haben mich mitgenommen. Sie sprachen mich auf der Straße an und fragten, wo ich hingehe. Eigentlich wollte ich zu Freunden. Die jungen Frauen meinten, ob ich mit ihnen ins Berghain gehen möchte. Ich habe in Sekundenschnelle entschieden, mitzugehen und meine Verabredung sausen lassen.
In Ihrem Buch schreiben Sie, Herr Krabbenhöft, viel über Ihre große Leidenschaft, das Tanzen. „Tanzen richtet mich auf, wenn sich die Liebe verabschiedet und der Weltschmerz überhandnimmt“, steht dort beispielsweise, oder „Tanzen tut mir gut, wenn mein Kopf zu platzen droht, weil er angefüllt ist mit Nachrichten, die mich erschüttern.“ In Ihrem Buch rufen Sie Menschen auf, ihre Kraftquellen aufzuspüren und sich mehr auf das Leben einzulassen. Ein schöner Satz heißt dort: „Je älter ich werde, desto mehr traue ich mich, jung zu sein.“ Trifft das auch auf Sie zu, Frau Kanja? Wann wurde in Ihrem Leben wichtig, Stil zu haben?
Kanja: Ich wurde im Alter von 14 expressiv und kleidete mich meiner Stimmung gemäß, vor allem für mich selbst. Ich hege nicht die Intention, die Schönste zu sein, ich erfreue mich einfach meines Lebens und sage dem liebevoll „Hallo“.
Krabbenhöft: Ich habe auch früh gespürt, dass ich anders bin als die Anderen und auch das Bedürfnis habe, mich anders zu kleiden. Es ist schwierig, aus der Masse auszuscheren und ein eigenes Ding zu machen. Aber ich habe gespürt, dass das zu mir gehört und ich es genauso machen muss, wie ich es fühle.
Waren Sie Außenseiter?
Krabbenhöft: Ja, das würde ich so sagen. Als ich jung war, war die Welt längst nicht so bunt und vielfältig als es heute der Fall ist und wo man mit seinem Äußeren niemanden so schnell erschrickt.
Braucht es für Stil viel Geld?
Kanja: Mein Stil ist eine innere und äußere Haltung. Meine Schätze kaufte ich schon immer in Second-Hand-Läden ein. Da ich sehr zart gebaut bin, lernte ich früh, die Kleidung meinem Körper anzupassen und zurechtzuschneiden.
Krabbenhöft: Es ist halt Kreativität gefragt, vor allem aber braucht es einen Blick dafür, was einem steht. Man muss vieles ausprobieren.
Wie reagieren junge Menschen auf Sie?
Kanja: Ich werde oft angesprochen, noch häufiger, wenn wir zusammen unterwegs sind. Wir bekommen viele Komplimente und hören gerade von jungen Menschen, dass sie sein wollen wie wir, wenn sie selbst einmal älter sind.
Krabbenhöft: Es wundert einen, dass uns gerade so viele junge Menschen im Fokus haben, die gern wissen wollen, wie man mit Stil und lässig alt werden kann.
Fehlt es jungen Menschen an Vorbildern, wie man mit Stil älter werden kann?
Kanja: Na, sie haben ja uns! Ich denke, vielen war die Frage vorher gar nicht bewusst.
Krabbenhöft: Wenn mir ein junger Mensch sagt, er will einmal sein wie ich, frage ich meist nach dem Alter. Wenn dann als Antwort „25“ kommt, sagte ich: Dann hast du ja noch viel Zeit, um zu schauen und herauszufinden, wer du wirklich bist. Suche, was dich zum Tanzen bringt und dich berührt. Schaue, wer du bist, dann fügt sich alles zusammen.
Kanja: … und ich antworte gern: Die Zeit geht sowieso voran und du wirst bestimmt noch besser.
Was unterscheidet Sie von vielen anderen Menschen in Ihrem Alter?
Krabbenhöft: Ich glaube gar nicht so viel, vielleicht nur bei der Lust und Freude, zu leben. Wenn man älter wird und die Endlichkeit anders vor Augen hat, will man doch automatisch die Zeit, die man noch lebt, mit Freude und Lust verbringen. Die Leute vergessen das zu sehr.
Kanja: Durch meine, wie ich es nenne, „konstruktive Naivität“, der Offenheit und Leichtigkeit eines Kindes, gepaart mit dem Wissen und der Weisheit einer Dame. Ich erlebe Wohlempfinden daran, mich schön zu kleiden, wie ein Baum, der sich im Frühjahr aus reiner Freude mit seinen schönsten Blüten schmückt. Heute machen das nicht mehr allzu viele Menschen, früher war es üblich, dass man sich schön kleidete.
Krabbenhöft: Die Menschen sollten mehr spüren, was sie glücklich macht, ohne Schere und Schranken im Kopf. Von wegen: In meinem Alter macht man das nicht! Für etwas zu brennen, ist auch im Leben und Alter noch wichtig. Vielleicht unterscheidet uns von anderen, dass wir nie aufgehört haben, Kind zu sein.
Kanja: Dazu gehört jedoch Courage. Erst durch Courage kann man ein wirklich glückliches Leben führen und wird erfahren, man selbst zu sein. Das geht nur, ohne sich Gruppenzwängen unterzuordnen. Wahre Gemeinschaft kann man nur durch Individualität erzeugen.
Sie beide wirken so entspannt, wie geht es Ihnen, wenn Sie Nachrichten hören, wie manche Politiker sich wie Diktatoren benehmen und gern die Zeit zurückdrehen würden?
Kanja: Ich verfolge das Weltgeschehen genau, auch die ganzen Herausforderungen, mit denen wir leben, nur so lassen sich Zusammenhänge besser erfassen. Und je schlimmer es wird, desto mehr Liebesfähigkeit kann ich bewusst in mir selbst, für den anderen und den kleinen Dingen in meiner direkten Umgebung entfalten. Jeder Einzelne ist eine wunderbare Chance, kann Schönes schaffen und an der Minimierung dieses Übels mitarbeiten.
Krabbenhöft: Im Laufe meines Lebens erlebte ich so viele Situationen, etwa als wieder ein neuer Krieg ins Haus stand oder Völker sich untereinander bekämpften. Letzten Endes sind alle Dinge geregelt worden und ins Lot gekommen. Im Moment ist eine irre Aufgeregtheit da, man muss auf andere Ebenen kommen und Dinge sachlich betrachten. Das aktuelle Gefühl, alles überschlägt sich, macht die Klärung von Schwierigkeiten nicht einfacher.
Wie geht es Ihnen mit dem Älterwerden?
Kanja: Ich lebe gesund und gehe davon aus, dass ich nicht krank werde. Manchmal fühle ich mich auch nicht so wohl, doch ist jeder Tag anders. Ich empfinde jeden Tag als kostbares Geschenk. Ich möchte gesund sterben. Vielleicht noch einmal mit den Rollschuhen um die Ecke biegen.
Krabbenhöft: Ich bin froh, ohne schlimmere Erkrankung durch das Leben gekommen zu sein. Das genieße ich, weiß es zu schätzen und bin dankbar. Ich wünsche mir, gesund alt zu werden, das wünsche ich allen Menschen.
Kanja: Ja, ich möchte auch gesund sterben. Vielleicht noch einmal mit den Rollschuhen um die Ecke biegen.
Krabbenhöft: … und ich beim Tanzen.
Letzte Frage: Karl Lagerfeld wird das Zitat in den Mund gelegt, wer eine Jogginghose trage, habe die Kontrolle über sein Leben verloren. Herr Krabbenhöft, besitzen Sie so ein Kleidungsstück?
Krabbenhöft: Natürlich habe ich eine. Die kaufte ich mir während einer kleinen Auszeit, wo ich Sport machen musste, da kann ich ja schlecht mit Hut und Anzug auftauchen. Nun wartet dieses Teil seit Jahren darauf, wieder einmal ausgeführt zu werden. Ich sage jedes Mal: Da kannste lange warten.