Cannabis boomt, nicht zuletzt aufgrund seines Inhaltsstoffes CBD. Dieser hat ein breites Wirkungsspektrum und steht in der Medizin wie im Lifestylebereich immer mehr im Fokus. Eine Spurensuche im Spannungsfeld von Potenzial und Stigma einer uralten Pflanze.
Es gibt kaum ein Thema, dass so kontroversiell diskutiert wird wie das Thema Hanf. Die einen sehen in einer der ältesten Kulturpflanzen der Welt ein enormes Potenzial für Gesundheit und Wohlbefinden, die anderen fürchten den Missbrauch der Pflanze und die Legalisierung einer Einstiegsdroge. Fakt ist: Vieles bewegt sich derzeit noch in einem rechtlichen Graubereich. Fakt ist aber auch: Cannabis wird seit Tausenden von Jahren in unterschiedlichen Kulturen rund um den Erdball zur Behandlung von Beschwerden verwendet. Dem menschlichen Körper sind die Wirkstoffe der Hanfpflanze, die Cannabinoide, nicht fremd – er produziert schließlich selbst welche. Das sogenannte Endocannabinoidsystem dient dazu, das Gleichgewicht der physiologischen Körperfunktionen aufrechtzuerhalten.
Rausch- oder Allheilmittel?
Die Pflanze „ist kein Allheilmittel und auch keine Wundermedizin, aber sie kann den therapeutischen Alltag ungemein bereichern“, konstatiert der Hartberger Allgemeinmediziner Patrick Thurner, der gemeinsam mit seinen Geschwistern – Unternehmer und Jurist Alexander Thurner und Apothekerin Bettina Thurner – das Buch „Heilender Hanf“ verfasst hat. Der Mythos rund um das Thema Hanf rührt vor allem von seinem Wirkstoff THC. Dieser ist für die berauschende Wirkung verantwortlich und im Harz der weiblichen Cannabispflanze enthalten. Cannabis ist das lateinische Wort für Hanf, Haschisch ist reines Harz, als Marihuana bezeichnet man die getrockneten Blüten. THC (Tetrahydrocannabinol) ist nur eines von rund 100 in der Pflanzen enthaltenen Cannabinoide, in den meisten Pflanzen kommen allerdings nur wenige davon in höherer Konzentration vor. THC kommt unter ärztlicher Anleitung beispielsweise bei Multipler Sklerose oder zur Linderung von Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapien oder bei neuropathischen Schmerzen, bei denen andere Therapien unwirksam bleiben, zum Einsatz.
Zu den Hauptwirkstoffen der Hanfpflanze gehört neben THC auch CBD (Cannabidiol), das nicht psychoaktiv wirksam ist und damit nicht „high“ macht. CBD steht für medizinische Anwendungen bei schweren Erkrankungen verstärkt im wissenschaftlichen Interesse. Der Wirkstoff ist als pflanzliches CBD-Extrakt in Form von Ölen, Cremes, Tees oder Kapseln, aber auch frei erhältlich. Extrahiert werden darf er in Österreich nur aus Nutzhanf mit einem THC-Gehalt von unter 0,3 Prozent. Der Anbau unterliegt strengen Reglementierungen.
Breites Wirkungsspektrum
CBD wird ein breites Wirkungsspektrum zugeschrieben: schmerzstillend, schlaffördernd, appetitzügelnd, angstlösend, antiepileptisch, antientzündlich, krampflösend, antibakteriell, antioxidativ. Es ist ein Wirkstoff mit großem Potenzial, mögliche Einsatzgebiete reichen von Angstzuständen über Hauterkrankungen bis hin zu Morbus Parkinson. Häufig wird jedoch bemängelt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse noch nicht in einem ausreichenden Maß vorhanden sind. Zuletzt haben Studien bei bösartigen Hirntumoren positive Effekte aufgezeigt: CBD konnte den Schmerz bei Glioblastomen lindern.
In der Praxis von Patrick Thurner kommt CBD zur Anwendung. Er setzt auf Vollextrakte, „um das gesamte Spektrum der Pflanze zu nützen.“ Erstmals hatte er den Wirkstoff zwei bettlägerigen Patientinnen in einem Pflegeheim verabreicht, „ihre Agilität und Stimmung haben sich merklich zum Positiven hin verändert, bereits mit einer geringen Anzahl an Tropfen“, berichtet er. Eine Einnahme kann in unterschiedlicher Form erfolgen – über die Haut als Salbenmischung, als Tropfen oder auch als Zäpfchen. Die Anwendung und Dosierung ist vielfach eine individuelle Erprobung, „in etwa der Hälfte der Fälle traten bei Schlafproblemen von Patienten Verbesserungen ein“, resümiert Thurner aus seinem Erfahrungsschatz. Auch Schmerzzustände kommen für eine Behandlung in Frage, allerdings können diese nicht pauschal gesehen werden, „relevant ist beispielsweise, ob die Ursache in einer Entzündung oder in einer Abnützung liegt.“ Ärztlicher Rat sei daher stets empfohlen.
Kein Suchtstoff mehr
„Es gibt weltweit Tausende von Geschichten über die Wirksamkeit von Cannabinoiden bei Schmerzen, von Fibromyalgie über Migräne bis hin zu verletzungsbedingten Schmerzen und krebsbedingten Schmerzen“, schreibt Tanja Bagar in ihrem Buch „Die Hanfmedizin“. Die Direktorin des Internationalen Instituts für Cannabinoide Icanna konstatiert: „Ich kann mich nicht genug darüber wundern, dass es zu einem Verbot von Anbau und Konsum der Cannabis sativa L. kam, bevor die Pflanze überhaupt wissenschaftlich erforscht wurde. Wir können also sagen, dass die Grundlage für die heutige Gesetzgebung ohne jegliche Kenntnisse der chemischen Zusammensetzung der Pflanze oder deren Wirkungsweise auf unseren Körper gelegt wurde.“
Die Wogen gingen zuletzt hoch, als die EU-Kommission plante, CBD als Betäubungsmittel einzustufen. Ende 2020 ist wieder Bewegung in die rechtliche Seite der Thematik gekommen: Die Vereinten Nationen haben Cannabis für medizinische Zwecke von der Liste der gefährlichen Drogen gestrichen. Der EU-Gerichtshof hat dem Wirkstoff Cannabidiol den Weg zur weiteren Vermarktung geebnet, CBD wird nicht mehr als Suchtstoff angesehen. Auch die EU-Kommission stuft CBD nun nicht als Betäubungsmittel, sondern als „mögliches Lebensmittel“ ein. In Österreich unterliegt Hanf als Lebensmittel oder Lebensmittelzutat der Novel-Food-Verordnung. Da eine Kennzeichnung als Nahrungsergänzungsmittel ohne entsprechende Zulassung nicht möglich ist, werden die Produkte in Hanfshops vielfach als Aromaprodukte vertrieben.
Erfolgreicher Selbstversuch
Alexander Thurner hat 2014 mit dem Anbau von Bio-Hanf begonnen und vertreibt mittlerweile eine ganze Reihe von Produkten. Als Sportler war er auf der Suche nach einer alternativen Proteinquelle, weil er Milchproteine nicht vertrug. Das Potenzial der Pflanze hat ihn überzeugt. „Wenn die Produkte nicht wirken würden, wäre auch gar nie so ein Hype darum entstanden“, spricht er vor allem den Höhepunkt des Booms 2018 an. Er betont aber auch: „Es bräuchte einheitliche Regeln und Qualitätsstandards, damit die Produktsicherheit gewährleistet ist.“ Denn Extrakte können durch Verunreinigungen oder Rückstände belastet sein – Keime, toxische Stoffe, Pflanzenschutzmittel oder Insektizide.
Hanfsamen können zu Hanföl gepresst werden, aus dem Presskuchen wird Hanfmehl oder Hanfprotein hergestellt, das alle essenziellen Aminosäuren enthält. Hanfsamen enthalten keine Cannabinoide, sind aber reich an gesundheitsfördernden Fettsäuren, Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen. Hanföl enthält Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren und wird in Kosmetikprodukten, etwa für trockene Haut, eingesetzt.
Erwünschte und unerwünschte Wirkung
Im Rahmen einer repräsentativen Umfrage, die im Auftrag des Start-ups Magu im Juli 2019 vom Marktforschungsinstitut Integral unter 1.009 Personen im Alter zwischen 16 und 69 Jahren durchgeführt wurde, gaben 14 Prozent der Befragten an, sie hätten bereits selbst konkrete Erfahrungen mit CBD-Produkten gemacht. 79 Prozent der Nutzer würden diese wiederverwenden. Nur sieben Prozent gaben an, ausschließlich negative Erfahrungen damit gemacht zu haben. „Ein unbedenklicher Einsatz von Cannabinoiden kann trotz vieler positiver Effekte nicht empfohlen werden“, gibt Gudrun Rumpold-Seitlinger, Leiterin der Schmerzambulanz am Klinikum Graz, zu bedenken, da es auch Nebenwirkungen gebe: Schwindel, Müdigkeit, Verwirrtheit. Sie plädiert auch für eine klare Trennlinie in der Diskussion um Freizeitgebrauch und den Einsatz etwa in der Schmerz- und Palliativtherapie. „Weder sind Cannabinoide ein Allheilmittel noch sollte man grundsätzlich Ressentiments gegen sie haben.“
Ein Blick in die Geschichte
Hanf kommt seit jeher in vielfältiger Weise zum Einsatz. Seile aus Hanffasern wurden in China bereits vor mehreren tausend Jahren hergestellt, 1455 druckte Gutenberg die erste Bibel auf Hanfpapier, 1492 segelte Kolumbus mit Segeln und Tauwerk aus Hanf nach Amerika, 1870 fertigte der Bayer Levi Strauss die ersten Jeans aus Hanf in den USA. Das Harz, das aus den Blütenständen ausgeschieden wird, hat man im Lauf der Geschichte immer wieder zu Heilzwecken verwendet. Die Geschichte reicht bis ins alte China und ins alte Ägypten. Später wurde die Pflanze auch in der europäischen Volksmedizin eingesetzt. Die Anwendungsgebiete reichten von Schlafstörungen und Migräne über Gicht und Malaria bis hin zur Behandlung von Pest und Typhus. Hildegard von Bin-gen züchtete Cannabis in ihrem Kräutergarten. „In ihrer Schrift ,Physica – Liber simplicis medicinae’ beschreibt sie die Pflanze als schmerzstillend und verdauungsfördernd. Außerdem empfiehlt sie Cannabis zur lokalen Behandlung von Geschwüren und Wunden, bei rheumatischen und bronchialen Erkrankungen wie auch bei Magenbeschwerden und Übelkeit“, heißt es im Buch „Heilender Hanf“.
Wegen seiner berauschenden Wirkung wurde der Hanfanbau schließlich, ausgehend von den USA, komplett verboten. Mit der Züchtung von Hanfsorten wie der Kulturform Cannabis sativa, die einen THC-Gehalt von weniger als 0,3 Prozent hat, wurde der Hanfanbau ab Ende des 20. Jahrhunderts teilweise wieder unter Vorgaben erlaubt. In den vergangenen Jahren sind immer mehr Hanfprodukte auf den Markt gekommen, CBD ist zunehmend auch für den Lifestylebereich in den Fokus gerückt.