Mobil vor stationär

Gesundheitslandesrätin Juliane Bogner-Strauß über Wege der Entlastung in der Pflege, das neue Steiermark Tarifmodell zur Leistbarkeit von mobiler Unterstützung, die ausgerufene Bewegungsrevolution und das geflügelte Wort des alten Baumes, den man nicht verpflanzt.

Welchen Stellenwert haben mobile Angebote im Gesamtfeld der Pflege?
Meine Oma sagte immer: „Einen alten Baum verpflanzt man nicht.“ Mobile Pflege- und Betreuungsdienste sind der zentrale Baustein für die Zukunft im Pflegebereich. Pflege- und betreuungsbedürftige Menschen können in ihrer vertrauten Umgebung bedarfsgerecht und individuell versorgt werden. Pflegende Angehörige werden von Pflegefachkräften bei der medizinischen Versorgung oder alltäglichen Aktivitäten unterstützt. Zugleich werden stationäre Einrichtungen durch die Pflege und Betreuung zu Hause entlastet. 

Wie ist die Steiermark in diesem Bereich aufgestellt?
Die mobilen Pflege- und Betreuungsdienste werden von immer mehr Personen in Anspruch genommen. Damit dieser Aufwärtstrend weitergeht und mobile Dienste für alle Steirerinnen und Steirer leistbar sind, haben wir im Juli 2023 das „Steiermark Tarifmodell“ eingeführt. So ist sichergestellt, dass jede:r sich mobile Pflege leisten kann. Auch die 2019 eingeführte Alltagsbegleitung, die pflegende und betreuende Angehörige entlastet, wird gut angenommen. Pflege- und betreuungsbedürftige Personen werden gezielt durch körperliche und kognitive Aktivierung gefördert, bei Wegen außer Haus begleitet und haben eine Ansprechperson für Fragen des Alltags. Durch dieses Angebot, in Kombination mit Tageszentren und betreutem Wohnen, gelingt uns ein weiterer Lückenschluss zwischen der Hauskrankenpflege und der 24-Stunden-Betreuung.

Welche Maßnahmen braucht es, um mobile Dienste nicht zuletzt im Spannungsfeld der demographischen Entwicklung langfristig zu sichern?
Mit dem „Steiermark Tarifmodell“ ist uns ein wichtiger Schritt in Richtung „mobil vor stationär“ gelungen. Wir müssen weiter dranbleiben, Betreuung und Pflege in der Steiermark leistbar und verfügbar zu machen. Gleichzeitig sollen mobile Dienste noch attraktiver und passgenauer gestaltet werden, damit jede Steirerin und jeder Steirer die Form der Betreuung wählen kann, die möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben zu Hause ermöglicht.

Wie kann diese „Passgenauigkeit“ forciert werden?
Wichtig ist, dass pflege- und betreuungsbedürftige Personen und ihre Angehörigen wissen, welche Möglichkeiten es gibt. Nur dann können sie entscheiden, welche Variante die passende für ihre individuelle Situation ist. Die Broschüre des Landes Steiermark „Pflege[n] zu Hause“ und die Pflegedrehscheiben sind hier wichtige Wegweiser. Zugleich muss es uns gelingen, dass mobile Pflege- und Betreuungsdienste als attraktives Angebot gegenüber der stationären Langzeitpflege wahrgenommen werden. Damit sich das alle Steirerinnen und Steirer leisten können, haben wir das „Steiermark Tarifmodell“ ins Leben gerufen. Dadurch stellen wir sicher, dass den Kundinnen und Kunden jedenfalls ein Betrag in Höhe der Mindestpension übrigbleibt, wenn mobile Dienste in Anspruch genommen werden.

In welchen Bereichen ist der Bedarf besonders groß und inwieweit wird das Angebot künftig noch erweitert werden müssen?
Die Angebote werden in allen Bereichen – auch in der Langzeitpflege – zunehmend angenommen. Wir arbeiten daran, den mobilen Bereich sowohl für pflege- und betreuungsbedürftige Personen und ihre Angehörigen als auch für Pflegefachkräfte noch attraktiver zu gestalten. 

Das definierte Leistungsspektrum und die Erwartungshaltung betroffener Familien können durchaus divergieren. Wo braucht es da Sensibilisierung?
Bei jedem Träger mobiler Dienste werden im Vorfeld Aufklärungsgespräche mit den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen geführt, bei denen der genaue Pflege- und Betreuungsbedarf der betroffenen Person erhoben wird. Die Angehörigen werden dabei darüber informiert, welche Leistungen durch die Pflegefachkräfte erbracht werden dürfen und wo die gesetzlichen Grenzen liegen. 

Was wird getan, um mehr Menschen für den Beruf zu motivieren, aber auch, um Pflegefachkräfte langfristig zu halten?
Unsere – sehr erfolgreiche – Social-Media-Werbekampagne „Zeit für Pflege“ verweist interessierte Jugendliche an die neu geschaffene Beratungsstelle im LOGO-Jugendmanagement. Mithilfe der Beratungsstelle können wir nicht nur „face to face“ informieren, sondern auch das Vernetzen von Angeboten und deren Außenauftritt weiter voranbringen. Klar ist: Wir brauchen mehr Jugendliche und auch Quereinsteiger:innen für die Pflege. Die Rahmenbedingungen – zum Beispiel Gehalt – liegen nicht in der Kompetenz des Landes, jedoch müssen wir eben gemeinsam mit den Trägern, den Betreiber:innen der mobilen Dienste sehr genau hinschauen, wie wir diesem hochprofessionellen Beruf den Stellenwert geben können, den er verdient.

Was braucht es an Wissen, damit Pflegefachkräfte gerade mit Krankheitsbildern wie Demenz im Pflegealltag gut umgehen zu können?
Demenz hat viele Seiten und ist nicht nur für die Betroffenen, sondern vor allem auch für Angehörige und Pflegende eine große Herausforderung. Über das Bildungszentrum Haus der Gesundheit haben Pflegefachkräfte die Möglichkeit, sich über unterschiedlichste Aspekte der Arbeit mit Demenzkranken weiterzubilden. Zudem haben wir das Netzwerk Demenz Steiermark (needs) gegründet, um die Lebensqualität von Betroffenen und Angehörigen zu verbessern. Dabei geht es um spezielle Versorgungsangebote, eine demenzgerechte Weiterentwicklung vorhandener Strukturen und die Sensibilisierung in der breiten Öffentlichkeit für das Krankheitsbild.

Was sind die aus Ihrer Sicht größten Herausforderungen für die Zukunft?
Gesundheit, Pflege und Betreuung sind sicher die größten Herausforderungen unserer Zeit. Um den Menschen möglichst viele gesunde Lebensjahre zu ermöglichen, haben wir in der Steiermark die Bewegungsrevolution ausgerufen. Wir wollen die Menschen zur niederschwelligen Alltagsbewegung motivieren. Dabei geht es nicht um Leistungssport – mit jedem gegangenen Schritt und jeder Minute an der frischen Luft tut man sich selbst und seiner Gesundheit etwas Gutes. Das gilt für Menschen jeden Alters. 

Text von Elke Jauk-Offner
Bild von Maija Kanizaj
Beitrag veröffentlicht am 14.09.2023