Mehr Sicherheit, mehr Service, mehr Lebensqualität

Je höher die Anzahl der Lebensjahre, desto mehr Arzneimittel werden häufig eingenommen. Alexandra Mandl, Vizepräsidentin der Steirischen Apothekerkammer, klärt über die Bedeutung von Medikationsmanagement auf – und warum eigenmächtige Änderungen bei der Tabletteneinnahme nicht ratsam sind und bei Grapefruitsaft und Milch besondere Vorsicht geboten ist.


Alexandra Mandl

Warum müssen ältere Menschen häufig so viele verschiedene Medikamente einnehmen?

Mandl: Allein die Anzahl der 100-Jährigen hat sich in der Steiermark in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Immer mehr Menschen werden immer älter, aber sie werden nicht gesund älter. Sie können unter Abnützungserscheinungen leiden, unter hohem Blutdruck, erhöhten Blutzucker-, Blutfett- oder Harnsäurewerten, die Niere arbeitet nicht mehr so gut, das Herz wird schwächer. Für jede dieser Erkrankungen gibt es auf Basis der evidenzbasierten Medizin Behandlungsschemata, die bestimmte Arzneimittel beinhalten. Doch ein Arzneimittel allein reicht dabei oft nicht aus. Um den Blutdruck ausreichend und gut zu senken, setzt man statt eines hoch dosierten mehrere niedrig dosierte Medikamente ein. Sie greifen an unterschiedlichen Stellen im Organismus ein, sind so verträglicher und man erzielt ein besseres Ergebnis. Im Laufe der Jahre nimmt so die Anzahl der eingenommenen Medikamente ständig zu.

Was ist daher bei einer derartigen Häufung zu empfehlen?

Mandl: Es wäre wünschenswert, einmal im Jahr eine Aufstellung der aktuell eingenommen Arzneimittel zu machen. Vitaminpräparate und Nahrungsergänzungsmittel sollten in diese Betrachtung miteinbezogen werden. Es gilt zu überprüfen, ob alle Medikamente noch angezeigt sind, ob die Dosierung nach wie vor passt oder Änderungen notwendig sind, weil beispielsweise die Niere nicht mehr so gut arbeitet. Gerade bei Blutdruckpräparaten werden oft ergänzend weitere Wirkstoffe verschrieben. Man kann jedoch statt mit drei Blutdrucksenkern zu drei unterschiedlichen Tageszeiten den gleichen Effekt mit nur einer Tablette erzielen, die alle drei Wirkstoffe enthält und damit auch die Lebensqualität des Patienten verbessern.

Werden die empfohlenen Handlungsanweisungen gut befolgt?

Mandl: Ältere Menschen sind bei der Einnahme ihrer Arzneien eigentlich sehr konsequent, sie halten aufgrund eines flexibleren, geregelten Tagesablaufes auch die empfohlenen Zeiten besser ein als berufstätige Menschen. Allerdings sollte nicht der ganze Tagesablauf nur nach der Einnahme der Medikamente ausgerichtet sein und zur Belastung werden.

Was verträgt sich bei unterschiedlichen Medikamenten nicht gut miteinander?

Mandl: Die gefährlichste Wechselwirkung ist eine Blutung. Sie kann eintreten, wenn gleichzeitig mehrere blutverdünnende Medikamente eingenommen werden. Dann besteht die Gefahr einer Blutung im Magen, im Darm, in der Niere oder im Gehirn. Wenn solche Medikamente bei Herzrhythmusstörungen gemeinsam mit bestimmten Antidepressiva und Schmerzmitteln wie Aspirin oder Ibuprofen eingenommen werden, sind das drei blutverdünnende Faktoren.

Bei welchen Kombinationen mit Nahrungsmitteln sollte man vorsichtig sein?

Mandl: Viele Arzneimittel werden in der Leber abgebaut. Dieser Abbau kann durch Grapefruitsaft blockiert werden. Er enthält Stoffe, welche die für den Abbau verantwortlichen Enzyme in der Leber blockieren. Dadurch werden etwa blutdrucksenkende Wirkstoffe langsamer abgebaut und sind am nächsten Tag noch immer im Körper in relevanten Mengen vorhanden. Setzt sich das so fort, kann es nach mehreren Tagen zu massiven Kreislaufproblemen kommen. Achtsam sein muss man zudem bei Milch und Milchprodukten. Das enthaltene Kalzium geht etwa mit Antibiotika im Magen-Darm-Trakt Bindungen ein. Diese bilden große Komplexe, die der Körper nicht mehr aufnehmen kann und beides wird daher ausgeschieden. Erhöhte Aufmerksamkeit ist zudem bei „Novel Food“ geboten. Neuartige Lebensmittel wie exotische Goji-Beeren sind in Kombination mit lebenswichtigen Medikamenten mit Vorsicht zu genießen.

Werden von Patienten eigenmächtig Änderungen bei der Einnahme vorgenommen?

Mandl: Unbeliebt sind Entwässerungsmittel, weil man häufig auf die Toilette muss. Sie werden gerne an Tagen, an denen die Patienten mehr unterwegs sind, weggelassen. Manche Patienten nehmen auch Arzneien zum Wochenende nicht ein, der Fachbegriff dafür heißt „Drug Holidays“. Betroffen sind zudem bestimmte Medikamente zur Behandlung von Diabetes, die als Nebenwirkung Blähungen verursachen können. Man kann Patienten beruhigen, dass die Nebenwirkungen abnehmen, wenn die Medikamente kontinuierlich eingenommen werden. Der Körper gewöhnt sich daran. Hier hilft es oft, eine Arznei einschleichend zu dosieren – entweder beginnt man mit einer niedrigeren Dosis oder startet abends, damit man Nebenwirkungen verschläft. Bei Personen ab 65 Jahren ist es ratsam, mit einer geringeren Dosierung zu starten und langsam zu steigern, wenn alles ausreichend gut vertragen wird. „Start low, go slow“ lautet hier der Leitsatz.

Was sind die größten Anliegen der Patienten?

Mandl: Ältere Menschen möchten ihre Selbstständigkeit so lange wie möglich erhalten, das ist essenziell. Dazu gehört es auch, geistig fit zu bleiben. Und sie möchten möglichst wenige Arzneimittel schlucken. Eine Tablette kann allerdings einen ungesunden Lebenswandel nicht ungeschehen machen. Sport, Bewegung und Ernährung bleiben absolut wesentlich. Immer sollte auch die Frage gestellt werden, ob es für neue Beschwerden nicht-medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten gibt oder sie eine Nebenwirkung einer Arznei sein könnten. Mundtrockenheit ist so ein Thema. Da kann auf alle Fälle geholfen werden – mit befeuchtenden Lutschtabletten und Sprays oder sogar mit Ersatzspeichel. Man muss vielen Dingen einfach auf die Spur kommen und sie auch zum Thema machen. Und das können wir Apotheker!

 

Beitrag veröffentlicht am 09.06.2022