Ein neues Medikament für Erkrankte in den USA gibt Hoffnung, allerdings nur für einen kleinen Kreis von Patienten.Ein Neurologe warnt: „Es wird Enttäuschungen geben.“
Medien in den USA und in Großbritannien jubeln Anfang 2023 schon über einen „Durchbruch“ in der Therapie für Alzheimer-Patienten, es sei ein „Wendepunkt“ erreicht. Auslöser der Euphorie ist die beschleunigte Zulassung des Antikörpers Lecanemab durch die US-Gesundheitsbehörde FDA. Die beiden Pharmakonzerne Biogen und Eisai überzeugten die Behörde, dass der Wirkstoff ihres Medikamentes Leqembi in einem frühen Stadium den Krankheitsverlauf beeinflussen kann. Abenteuer Alter begab sich mit dem Neurologie-Professor Reinhold Schmidt auf die Spurensuche, was das für die Betroffenen in Österreich und ihre Angehörigen tatsächlich bedeutet. Hierzulande gibt es rund 100.000 an Demenz Erkrankte, von denen der größte Teil an Alzheimer leidet.
Bald drei Wirkstoffe
Der Grazer Universitätsprofessor ist von der jüngsten Entwicklung nicht überrascht, weil sich der Kampf gegen Alzheimer seit Jahren auf Antikörper konzentriert, wie sie auch die neuen Medikamente enthalten. Sie attackieren das vermutete Übel der Erkrankung, bestimmte Eiweißablagerungen im Gehirn (beta-Amyloid-Plaques). Der Wirkstoff, der derzeit Schlagzeilen macht, ist bereits der zweite seiner Art, einen dritten will ein Pharmakonzern demnächst vorstellen, weiß der Chef der Grazer Universitätsklinik für Neurologie.
Die Herausforderung für die Forschung ist nicht allein der Wirkstoff mit seiner Effizienz und Eignung für Patienten, sondern es sind die Umstände der Anwendung. Geprüft wurde die Substanz nur bei Patienten in einem frühen und milden Stadium der Alzheimer-Erkrankung, also an Personen mit leichten Gedächtnisstörungen oder beginnenden Demenzsymptomen. Das heißt wohl, dass die Therapie für den größten Teil der an Alzheimer Erkrankten nicht in Frage kommt. Vor Therapiebeginn werden aufwändige und teure Methoden benötigt, die nur in Spezialkliniken angeboten werden. Ein Facharzt für Neurologie ohne die Infrastruktur eines Institutes wird seinen Patienten also nur in Zusammenarbeit mit Spezialkliniken zu dieser Therapie verhelfen können. Deshalb werde es „Enttäuschungen geben“, sagt Schmidt ganz offen in Richtung der Betroffenen, die sich Hoffnungen auf eine rasche und unkomplizierte Therapie machen. Gerade für die schwer Erkrankten, die ihren Angehörigen und den Pflegenden die größten Sorgen machen, bietet diese Art der Antikörper-Therapie offenbar keine Hoffnung.
Nur in Spezialkliniken
Das Präparat kann auch nicht einfach wie eine Pille eingenommen werden kann. Alle zwei Wochen muss die Patientin oder der Patient zur Infusion auf eine spezialisierte Klinik kommen. Die nächste Einschränkung ist, dass es derzeit nur Erkenntnisse für eine Anwendungsdauer von 18 Monaten gibt. Ob und mit welcher Wirkung der Wirkstoff auch nach diesen eineinhalb Jahren angewendet werden kann, ist nach den Worten des Neurologen ebenso offen wie die Frage, wie lange eine Wirksamkeit nach dem Absetzen besteht. Immerhin forschen die Konzerne zeitnah daran. Das gilt auch für die Nebenwirkungen, die Schmidt als „nicht unwesentlich“ charakterisiert. Es gibt seriöse Berichte etwa über Anschwellungen von Gehirnarealen durch Austritte von Flüssigkeiten ins Gehirngewebe. Die Komplikationen sollen allerdings nach Absetzen der Therapie in der Regel wieder verschwinden.
Die gute Nachricht ist, dass die Therapie mit diesem Antikörper erstmals einen klinischen Effekt bringen kann. Das heißt, der Verlauf der Alzheimer-Erkrankung kann bei den Patienten, die infrage kommen, gemildert werden. Das ist eine entscheidende Verbesserung gegenüber einem ähnlichen Wirkstoff, der zwar ebenfalls die gefährlichen Eiweißablagerungen im Gehirn abgebaut hat, bei dem aber ein klinischer Nutzen nicht konsistent nachgewiesen werden konnte. Für Professor Schmidt ist der wesentliche Faktor nicht ein chemischer Vorgang, sondern der klinische Effekt der Linderung von Krankheitssymptomen. Von Heilung kann aber keine Rede sein.
Die Hersteller von Leqembi wollen noch im Frühjahr 2023 die Zulassung durch die EU-Arzneimittelagentur EMA beantragen. Mit einer Entscheidung rechnet Schmidt aber nicht vor 2024. Völlig offen ist bei den neuen Möglichkeiten der Alzheimer-Therapie die Kostenfrage. Der japanische Hersteller des Präparats, das jetzt in den USA bedingt zugelassen wurde, nennt einen Preis von 26.000 Dollar für eine zwölfmonatige Behandlung, also an die 30.000 Euro. Ob, in welcher Höhe und zu welchen Bedingungen das amerikanische Krankenkassensystem Medicare die Kosten übernimmt und dem Medikament damit seinen „Segen“ gibt, wird derzeit verhandelt. Dies- und jenseits des Atlantiks müssen Alzheimer-Patienten und ihre Angehörigen also nicht viel Geduld aufbringen.