Heilwissen mit langer Tradition

Welchen Rat kennt die Traditionelle Europäische Medizin bei Gelenksbeschwerden? Regina Webersberger, Allgemeinmedizinerin und Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kneipp-Medizin, führt vor Augen, welche essenzielle Fäden im Dienste der Gesundheit zusammenlaufen.


Regina Webersberger

Über Jahrtausende hat sich in Europa eine traditionelle Heilkunde entwickelt, die von Hippokrates von Kos über Paracelsus und Hildegard von Bingen bis hin zu Sebastian Kneipp geprägt wurde. „Das Traditionelle Heilwissen Europas ist im fünften vorchristlichen Jahrhundert im antiken Griechenland entstanden, wurde über Mittelalter, Spätantike, Renaissance und Barock weiterentwickelt und ist gegen 1830, der Geburtsstunde der modernen Heilkunde und Medizin, etwas in Vergessenheit geraten“, heißt es im Buch „Traditionelle Europäische Medizin – das große Praxisbuch der traditionellen Heilmethoden“. Heute feiert dieses heimische Heilwissen zu Heilpflanzen und einer gesunden Ernährung, zu Wickeln und Massagen eine Renaissance. Welche Hilfestellungen kennt die Traditionelle Europäische Medizin (TEM) in Bezug auf Gelenksbeschwerden?

Die Ärztin für Allgemeinmedizin Regina Webersberger – gemeinsam mit dem Leiter des Instituts für Traditionelle Europäische Medizin in Wien Karl-Heinz Steinmetz Autorin des Buches – war auch lange Zeit im Kneipp-Kurhaus der Marienschwestern in Aspach tätig. Eines schickt sie gleich voraus: Regelmäßige Bewegung ist für ein Gelenk ein Leben lang absolut essenziell – nicht zuletzt deshalb, weil nur so die Ernährung des Gelenksknorpels mit Gelenksflüssigkeit gesichert wird und erst dann die jeweiligen Knochen beim Gehen reibungslos aneinandergleiten. Durch Bewegungsmangel wird der Alterungsprozess des Gewebes beschleunigt, durch Übergewicht die Abnützung forciert.

Ein Blick in die Geschichte der Europäischen Medizin zeigt: Arthrosen waren in den vergangenen Jahrhunderten nicht so stark verbreitet, „das liegt schon allein daran, dass die Menschen zumeist nicht so übergewichtig waren und auch nicht so alt geworden sind“, sagt Webersberger. Entzündliche Gelenkserkrankungen dagegen hat es schon immer gegeben. Der weitreichenden Problematik der Entzündungen im Körper widmet sich die Traditionelle Europäische Medizin in umfassendem Maße.

Um Beschwerden zu lindern, führt Webersberger als ausgebildete Kneipp-Medizinerin unter anderem die Hydrotherapie an. „Das Ziel von Wasseranwendungen ist es, beispielsweise über Wechselgüsse die Durchblutung im Bein, im Knie und in der Muskulatur zu steigern und damit das Milieu an dieser Stelle im Körper grundsätzlich zu verbessern. Diese Methode ist einfach durchführbar und auch vorbeugend wirksam.“ Bei Kniegelenksproblemen werden häufig die Beine nicht mehr gleichmäßig belastet, in weiterer Folge sind eben auch die Muskeln und Faszien der Umgebung betroffen, selbst der Rücken kann in Mitleidenschaft gezogen sein, „es ist eine Auswirkung auf den gesamten Körper spürbar.“

Wickel mit Topfen

Eine Möglichkeit zur Linderung bieten zudem Wickel und Packungen, etwa in Form von Lehm, Topfen oder Moor. Gerade Topfenwickel sind relativ einfach selbst zu bewerkstelligen – damit kann auch nach einer Kniegelenksoperation das Abschwellen gefördert werden. „Grundsätzlich gilt es stets zu differenzieren, ob es sich um ein Hitzeproblem oder ein Kälteproblem im Körper handelt“, betont die Ärztin. Bei einer akuten Entzündung, also einem Hitzeproblem, kann beispielsweise ein kalter Lehmwickel wirken. Liegt dagegen keine akute Entzündung vor, sondern hat man es quasi mit einer Arthrose im Ruhezustand zu tun, dann sind warme Wickel ratsam, wie sie auch in Kurhäusern zur Anwendung kommen. Darüber hinaus sind Heublumenbäder eine Variante, „sie fördern die Durchblutung, wirken schmerzstillend und lockern das Gewebe.“

Bei alledem darf der so wichtige Aspekt der Bewegung nie außer Acht gelassen werden: „Die Knorpelversorgung ist immer nur in der Bewegung optimal“, betont die Expertin. Machen einem bereits Schmerzen zu schaffen, empfehlen sich Fitnesseinheiten, die möglichst wenig belasten, etwa auf dem Heimtrainer, Unterwassergymnastik oder Aquajogging.

Heilkräuter zur Unterstützung

Mit zunehmendem Alter nimmt das zu Entzündungen neigende Milieu im Körper überhaupt zu. Als unterstützendes Mittel gegen derartige Milieus wurden bereits seit Jahrhunderten Frühjahrskuren zelebriert. Die Brennnessel etwa wird als unterstützendes Kraut gesehen, um dem entgegenzuwirken. Das kann beispielsweise in Form einer Kur mit Brennnesseltee erfolgen – etwa drei Wochen lang wird drei Mal täglich eine Tasse getrunken. „Länger sollte man die Kur jedoch nicht ausdehnen, weil man es bei Brennnesseltee mit einem harntreibenden Mittel zu tun hat.“ Eine Möglichkeit ist auch Frischpflanzenpresssaft. „Man darf sich von einer solchen Kur allerdings keine Wunder erwarten. Die Neigung zu Gelenksschmerzen könnte sich aber verbessern.“

Alles in allem hält die Traditionelle Europäische Medizin eine Fülle an Heilwissen bereit, bei dem viele Aspekte ineinandergreifen. Viele Anwendungen im Sinne von Sebastian Kneipp sind auch in „Das große Kneipp Buch“ von Karl Gasperl, an dem Webersberger mitgearbeitet hat, beschrieben. „Für mich ist die Traditionelle Europäische Medizin kein Widerspruch zur Schulmedizin“, fasst die Allgemeinärztin unter anderem in Bezug auf Gelenksproblematiken zusammen, „zum Glück kann man Gelenke ersetzen, oft braucht es aber noch Unterstützung und Methoden wie diese sind da eine optimale Hilfe“, sagt Webersberger. Sie selbst hat einst im Medizinstudium eine Akupunkturvorlesung besonders fasziniert, nach Studienende folgte der Besuch einer Yogaschule in Indien. Was ihr dort in gewisser Weise fremd geblieben ist, schien ihr dann in Auseinandersetzung mit TEM und vor allem mit Kneipp ganz vertraut.

 

Beitrag veröffentlicht am 06.05.2022