Das Bett allein heilt keine Menschen

Interview mit Univ.-Prof. Gerhard Stark, Vorstandsvorsitzender der KAGes (steirische Krankenanstalten).

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Was ist geschehen, dass viele ältere Menschen, wenn sie das Wort LKH hören, nicht mehr an einen sicheren Hafen denken, sondern an ein stürmisches Meer?
Gerhard Stark: Ich will das nicht in Abrede stellen, aber ich habe auch einen anderen Eindruck, weil ich selbst eine Ordination betreibe und durchaus viel Kontakt mit Patienteninnen und Patienten habe. Wir haben in Österreich und insbesondere in der Steiermark mit dem Universitätsklinikum und weiteren 19 LKH-Standorten eine Infrastruktur, die weltweit höchster Standard ist. Für mich geht es eher um die Frage, wie wir mit allen Veränderungen in der Gesellschaft umgehen, die wir erleben. Auch wir müssen uns an die Verfügbarkeiten von Expertinnen und Experten anpassen und auch wir müssen Veränderungen herbeiführen und wir führen sie herbei. Diese Veränderungen machen unsicher, das ist richtig. Aber: Wir müssen uns immer auch fragen, ob wir ein und dasselbe Glas Wasser halb voll oder halb leer sehen. Ich sehe es immer halb voll. Ich denke, wenn wir uns das Gesundheitssystem ansehen, dürfen wir das Glas Wasser hier in der Steiermark halb voll sehen.

Sie haben die Verfügbarkeit von Spitalsleistungen angesprochen. Uns erreichen Berichte von Bettensperrungen und Verschiebungen von OP-Terminen, die viele Menschen verunsichern. Was muss da geschehen?
Bei uns erreicht gerade die Baby-Boomer-Generation das Pensionsalter. Damit gehen uns natürlich Knowhow-Träger verloren. Wir nehmen auch eine Veränderung darin wahr, wie jüngere Menschen ihre Arbeitswelt sehen. Wir haben es mit veränderten Dienstzeiten und Bedürfnissen zu tun. Auch die Zahl der älteren Menschen steigt. Das alles verändert natürlich unser Tun. Dazu kommt, dass Medizin zunehmend effizienter wird und effizienter werden muss. Wir können gut versorgen, aber, und das ist richtig, es kommt natürlich zu Verschiebungen aus den unterschiedlichsten Gründen. Mit innovativen Projekten gelingt es uns, die Wartezeiten Schritt für Schritt abzubauen. Was die Bettensperren betrifft: Sie sagen relativ wenig aus. Es geht immer um Menschen, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Bett allein heilt keinen Menschen.

Wie kommt es dazu, dass gerade ältere Leute die Erfahrungen machen, sie kommen schneller zu einem OP-Termin, wenn sie dafür etwas bezahlen?
Ich kann sagen: In den Landeskrankenhäusern zahlen sie nicht! Jeder von uns bezahlt über die Steuern dieses öffentliche Gesundheitssystem. Aber es gibt auch ein privates Gesundheitssystem, aber dafür bin ich – verzeihen Sie – nicht zuständig.

Eine Sache, die gerade ältere Personen umtreibt, ist ihre regionale Verwurzelung. Viele tun sich mit dem Trend zur Rationalisierung und zur Spezialisierung im Gesundheitsbereich sehr schwer. Wie erklären Sie den Menschen, dass diese Entwicklung doch gut für sie ist?
Ich denke, jeder wünscht sich für sich die bestmögliche Behandlung in seiner individuellen Situation. Wenn wir heute in Österreich die Entwicklung der Medizin, wie sie weltweit stattfindet, mitmachen wollen, müssen wir uns spezialisieren. Die Alternative ist, dass wir sie nicht mitmachen. In der Medizin ist die Zeit, als ich alles an jedem Ort bekam, schon längst vorbei. Denken wir an ein einfaches Beispiel, einen Aortenklappenersatz an der Hauptschlagader. Das können wir in einem peripheren Krankenhaus nicht machen, weil es einerseits an Expert:innen fehlt, andererseits am gesamten Team und dem Umfeld. Auf einmal brauche ich einen Kardiologen, vielleicht einen Pulmologen, einen Gastroenterologen, einen spezialisierten Chirurgen, einen spezialisierten Anästhesisten und eine spezialisierte Pflege, und zwar nicht nur im OP, sondern auch danach. Sehr schnell wird klar, dass so etwas eben nur möglich ist, wenn ich Kompetenzen zusammenziehe. Und dann gibt es Basisversorgung, die dann zum Tragen kommt, wenn ich zum Beispiel eine Lungenentzündung und Pflegebedarf habe. Dann will ich natürlich auch die Fachlichkeit im internistischen und geriatrischen Sinn. Dann sollte das System so funktionieren, dass ich das auch nahe an meinen Wohnort gesichert habe.

Kann man verkürzt sagen: Spitzenmedizin ist nicht in jedem Tal der Alpen möglich?
Ich würde es so sagen: Spitzenmedizin wird in jedem Spital erbracht. Spezialisierte medizinische Leistung kann es nicht überall geben.
Damit sind wir bei der medizinischen Forschung, wo es zum Glück enorme Fortschritte gibt. Es gibt große Fortschritte bei der Behandlung von Krebserkrankungen, Alzheimer oder Parkinson. Ist die KAGes da auf der Höhe der Zeit?
Absolut. Wir haben in der Steiermark einen großen Vorteil, das ist unsere Medizinuniversität in Graz. Was den Forschungsimpact betrifft, ist das eine der bedeutendsten Universitäten. Und das darf man hier auch sagen: Sie muss den weltweiten Konkurrenzkampf im Bereich der Wissenschaft nicht scheuen.

Können Sie uns sagen, welche medizinischen Angebote die KAGes gerade für die älteren Zielgruppen entwickelt?
Wenn wir ältere Menschen in den Fokus rücken, geht es nicht immer um die Akutmedizin, sondern darum: Wie schaffe ich es, dass der Patient nach einer Akuterkrankung, die er meist ganz gut übersteht, dann auch wieder in das häusliche Leben zurückfindet? Hier haben wir in Mürzzuschlag ein Pilotprojekt namens Übergangspflege gestartet oder in Bad Radkersburg und Wagna eine Remobilisations- und Nachsorgeeinheit gegründet. Hier helfen wir Menschen etwa nach einer Hüft- oder Knieoperation oder nach einer schweren internistischen Erkrankung wieder in eine mobile und selbstbestimmte Phase zu kommen. Wir haben ein weiteres, neues Projekt, das sich über die ganze Steiermark erstreckt und wo die Koordinationsstelle in der KAGes angesiedelt ist, namens MobiREM. Hierbei sind auch die Elisabethinen und das Grazer GGZ eingebunden. Da geht es darum, dass wir das Know-how der Krankenhäuser den Menschen in den häuslichen Bereich mitgeben. Experten fahren zu den Patienten nach Hause und betreuen diese im gewohnten Umfeld, ohne Wegzeiten für die Betroffenen. Bei allen diesen Projekten geht es darum, dass die Menschen nach einer Operation oder einer Erkrankung wieder selbstständig werden.

Viele ältere Mitmenschen erleben Vereinsamung. Spielt das auch eine Rolle, wenn sie ins Spital kommen?
Ich denke, das ist eher ein gesellschaftliches Thema. Das hat mit den veränderten Familienstrukturen zu tun. Was vielleicht in der Vereinsamung entsteht, ist, dass sehr oft Krankenhäuser oder Ambulanzen der letzte Zufluchtsort für diese Menschen sind, um auch über ihre Themen und Probleme einfach reden zu können.

Es gibt Klagen vieler Menschen über lange Wartezeiten bei der Entlassung aus dem Spital. Was ist da zu tun?
Wir arbeiten ständig daran, das Entlassungsmanagement durch entsprechende Organisation zu verbessern. Ich möchte aber dazu auch sagen, dass wir in diesem Bereich nicht die einzigen Beteiligten sind. Da spielen die Rettungstransporte hinein, die das gleiche Problem haben wie wir, nämlich den Personalmangel. Dann haben wir die Familienangehörigen zu Hause, die nicht anwesend oder verfügbar sind und wo wir Lösungen finden müssen. Dieses Problem können wir in der KAGes nicht allein lösen.

Wie sind die Landeskrankenhäuser in den Bereichen Hospiz und Palliativbetreuung aufgestellt?
Zum Verständnis möchte ich zunächst eines sagen: Palliativstationen sind keine Sterbestationen. Wir haben die Palliativstationen für die Fälle von Erkrankung, die die Medizin in ihrem Fortschreiten nicht mehr wesentlich beeinflussen kann, wo wir aber sehr viel für den Menschen selbst tun können. Wir können hier Extremsituationen behandeln, um dem Menschen die Möglichkeit zu geben, dass er zum Beispiel nach Hause entlassen werden kann. Wir sind bei den Palliativleistungen in der Steiermark gut aufgestellt und entwickeln uns weiter. Die Koordinationsstelle für die gesamte Steiermark sowohl für den Palliativ- als auch für den Hospizbereich ist in der KAGes angesiedelt und wir arbeiten mit allen Krankenhausträgern eng zusammen.

Wir können durchaus stolz sein, dass wir ein breites mobiles Netz an Palliativbetreuer:innen haben, die auch zu den Menschen nach Hause gehen. Im Hospizbereich haben wir eine sehr interessante Entwicklung, weil sich neben den Pflegeeinrichtungen auch die Krankenhäuser hier vermehrt bemühen. Hospiz findet an vielen Stellen statt und ich möchte hier besonders die vielen Freiwilligen erwähnen, die als Hospizbegleiter:innen tätig sind. Das zeichnet unsere Gesellschaft besonders aus.

Herr Professor Stark, vielen Dank für das Gespräch!

Text von Johannes Kübeck
Bilder von Luef Light und shutterstock
Beitrag veröffentlicht am 22.12.2023