Andreas Herz: 24h-Betreuung – Säule und Bedürfnis

Zurzeit sind in Österreich über 60.000 selbstständige Personenbetreuerinnen und Personenbetreuer in der 24 Stunden-Betreuung tätig. An ihren Leistungen für die Betreuung zu Hause in den eigenen vier Wänden wird auch in Zukunft kein Weg vorbeiführen.

Pflegekrise, „Pflegenotstand“ – mittlerweile häufig gehörte Worte in der österreichischen Betreuungslandschaft. Die Zahlen und Fakten sprechen in der Tat eine recht deutliche und bei Lichte besehen durchaus beunruhigende Sprache. Es ist insbesondere der demografische Alterungsprozess, der dafür sorgt, dass die Schere zwischen vorhandenen und benötigten Betreuungsressourcen, seien sie ökonomischer oder personeller Natur, tendenziell immer weiter auseinandergeht.

Von derzeit gerade noch unter 20 Prozent wird sich der Anteil jener, die 65 und älter sind, in Österreich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten kontinuierlich erhöhen. 2030 wird der Anteil der 65-plus-Bevölkerung bereits bei gut 23 liegen und sich dann unwiderruflich auf die 30-Prozent-Marke zubewegen. Bis 2050 wird sich der Anteil der über 80-Jährigen von rund 5 auf 10 Prozent erhöhen. In absoluten Zahlen: über eine Million Österreicherinnen und Österreicher über 80. Das betrifft folglich die heute 50-Jährigen schon sehr konkret.

Denn die gesellschaftliche Alterung bringt einen weiteren Verstärkungseffekt mit sich: Je mehr alte Menschen, desto mehr Betreuungs- und Pflegebedarf. Logisch. Der Bedarf steigt jedoch nicht nur linear, sondern unterliegt einem exponentiellen Wachstum. Die Ursache: Mit zunehmendem Alter steigt selbstverständlich das Risiko für chronische Erkrankungen, speziell auch das Risiko für Multimorbidität, also die Wahrscheinlichkeit, an mehreren chronischen Erkrankungen wie etwa Diabetes, Hypertonie, Arteriosklerose, Arthrose, Herzinsuffizienz, Osteoporose oder Demenz gleichzeitig zu leiden. Immer mehr Menschen werden in ihrer Mobilität und Alltagsbewältigungskompetenz eingeschränkt und somit auf Unterstützung angewiesen sein.

Weniger Pflegende, mehr zu Pflegende

Und noch eine demografische Tendenz verschärft die Situation: Immer weniger pflegende (jüngere) Angehörige, die zugleich auch beruflich und familiär beansprucht sind, kommen auf immer mehr zu Betreuende bzw. zu Pflegende. Eine höchst dramatische Entwicklung, wenn wir in Rechnung stellen, dass derzeit nach wie vor die überwiegende Mehrheit der Betreuungsbedürftigen – es sind beinahe drei Viertel – von den eigenen Angehörigen betreut und gepflegt wird. Schon eine leichte Verschiebung im Verhältnis zwischen Pflegenden und Gepflegten kann hier massive Auswirkungen nach sich ziehen und einen dramatischen Mehrbedarf auf Seiten stationärer Pflegeeinrichtungen oder eben der 24-Stunden-Betreuung bewirken.

Wie fragil das Pflege- und Betreuungsgleichgewicht ist, hat sich zuletzt in der Corona-Pandemie erwiesen, als gerade in den stationären Einrichtungen die belastende Situation zahlreiche Pflegekräfte dazu bewog, ihre berufliche Zukunft in diesem Bereich zu überdenken. „Die Corona-Pandemie“, betont Andreas Herz, Obmann von Fachverband und Fachgruppe „Personenberatung und Personenbetreuung“ sowie Vizepräsident der Wirtschaftskammer Steiermark, „hat auf der anderen Seite aber auch ganz deutlich gezeigt, wie verlässlich und sicher die Betreuung durch selbstständige Personenbetreuerinnen und -betreuer selbst unter schwierigsten Bedingungen funktioniert hat. Wieder einmal hat sich die Betreuung zu Hause in den eigenen vier Wänden als tragende Säule von Pflege und Betreuung in Österreich erwiesen.“ Einen wichtigen Beitrag dazu leisten auch die Vermittlungsagenturen, die kundennah dafür sorgen, dass die zumeist aus südöstlichen EU-Staaten stammenden Betreuungspersonen und die Betreuungsuchenden zueinanderfinden.

Betreuung in vertrauter Umgebung

„Dass bereits knapp zehn Prozent der Pflege- und Betreuungsbedürftigen zu Hause von selbstständigen Personenbetreuerinnen und Personenbetreuern betreut werden“, so Herz, „resultiert jedoch nicht nur aus einem rein quantitativ zu bemessenden Bedarf. Die Betreuung zu Hause korrespondiert mit dem tiefsitzenden und nicht zu hintergehenden Bedürfnis so vieler Menschen, ihr Leben so lange wie möglich in vertrauter Umgebung verbringen zu können. Dieses Bedürfnis auf leistbarem Level in verlässlicher Qualität zu erfüllen, ist der unbestreitbare Verdienst all derer, die dieses Modell der 24-Stunden-Betreuung tagtäglich mit Leben erfüllen.“

Betreuung muss leistbar bleiben

Andreas Herz, MSc, ist Obmann der Fachgruppe „Personenberatung und Personenbetreuung“ in der WKO Steiermark, Obmann des Fachverbands in der WKO und Vizepräsident der WKO Steiermark.

Die 24-Stunden-Betreuung steht auch immer wieder einmal in der Kritik – wie reagieren?

ANDREAS HERZ: Alle Beteiligten sind gefordert, respektvoll aufeinander zuzugehen sowie wertschätzend und fair miteinander umzugehen. Als Interessenvertreter von Betreuungspersonen und Agenturen tragen wir in der Wirtschaftskammer seit vielen Jahren federführend dazu bei, die Rahmenbedingungen für dieses systemrelevante Betreuungsmodell kontinuierlich zu verbessern und die Qualitätsentwicklung zu fördern. Es gibt heute Standesregeln, Gütesiegel, Schulungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie mehrsprachige Informations- und Kommunikationstools nach allen Seiten hin. Selbstverständlich werden wir diesen Weg der Qualität und der Entwicklung weitergehen. Es gilt dabei aber immer auch im Auge zu behalten, dass die 24-Stunden-Betreuung ihre wichtige Funktion nur erfüllen kann, wenn sie für Betreute und deren Angehörige auch leistbar bleibt. Wir dürfen aber auch nicht übersehen, dass bei vielen Menschen auf beiden Seiten – Betreuten wie Betreuenden – die Bilanz sehr positiv ausfällt. Es gibt etwa auch zahlreiche Beispiele, wo familiäre Bindungen zwischen Betreuungspersonen und Angehörigen von Betreuten über viele Jahre weiterbestehen.

Beitrag veröffentlicht am 07.04.2022
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