Mobilität im Alter bedeutet Unabhängigkeit und Lebensqualität. Wie individuelle Mobilität sicher bleibt, was ein Verkehrssystem der Zukunft an Bedürfnissen älterer Menschen berücksichtigen muss und welche Folgen fehlende Mobilität hat.
M obilität ist ein Grundbedürfnis, die Voraussetzung für soziale Teilhabe, eine Notwendigkeit für die Selbstversorgung. Die Bedürfnisse und Möglichkeiten können sich im Laufe des Lebens aber merklich verändern. Nicht nur sie. Auch die Welt der Mobilität verändert sich. Im Individualverkehr ist Elektromobilität auf zwei und vier Rädern weiter auf dem Vormarsch. Die Notwendigkeit eines klimaverträglichen Verkehrssystems rückt Öffi-Angebote in den Fokus. Modelle wie (e-)Carsharing oder die verbesserte öffentliche Erreichbarkeit von Stadtrandgebieten sollen Mobilitätsbarrieren aus dem Weg räumen. Im eigenen Zuhause schaffen wiederum Mobilitätshilfen immer neue Möglichkeiten, um in Bewegung zu bleiben.
Fakt ist: Mit zunehmend mehr älteren Personen in der Bevölkerung wird auch der Anteil an älteren Fußgängern, Öffinutzern sowie Lenkern von Pkws, Motorrädern oder Fahrrädern künftig noch deutlich steigen. Je länger man mobil ist und bleibt, desto größer sind Unabhängigkeit und Lebensqualität. Alter ist aber nicht statisch messbar, es ist ein mehrdimensionaler Prozess der Veränderung – und ein höchst individueller noch dazu.
Emotionale Diskussion
Es ist auffällig, konstatiert ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger, dass Mobilität im Straßenverkehr im fortgeschrittenen Alter oft sehr emotional und einseitig diskutiert wird. „Sobald medial ein sogenannter ,Seniorenunfall’ erscheint, gibt es reflexartig die Forderung nach strengen Führerscheinprüfungen, medizinischen beziehungsweise psychologischen Tests oder restriktiven Fahrverboten für Personen der höheren Altersklassen.“
Viele Studien haben vergeblich versucht, statistisch abgesicherte Beziehungen zwischen der Unfallrate einzelner Personengruppen und Merkmalen dieser Personen zu finden. Die einzig nennenswerte Ausnahme stellt laut der Expertin der „low mileage bias“ dar: „Das heißt, die Unfallrate steigt an, wenn die jährliche Fahrleistung unter rund 3.000 Kilometer absinkt. Zusätzlich muss man aber beachten, dass Wenigfahrer unabhängig vom Alter zwar eine höhere Unfallrate pro Kilometer haben, sie aber eine geringere Exposition im Straßenverkehr gegenüber den Vielfahrern aufweisen.“
Stärken und Defizite
Viele ältere Personen verfügen über mehr Lenkerfahrung, können aber auch mehr gesundheitliche Probleme mit sich tragen. Kompensationshilfen wie Fahr- oder Gesundheitstrainings, die Anschaffung eines Autos mit Automatikgetriebe, regelmäßige freiwillige Vorsorgeuntersuchungen, die genaue Einhaltung der Medikamenteneinnahme sowie die Verwendung von Brillen oder Hörhilfen erhöhen die Sicherheit im Straßenverkehr. Zusätzlich gibt es eine immer höhere Bereitschaft, sich mit technischen Neuerungen in Form von Fahrer-Assistenzsystemen wie Park-, Spurhalte- oder Notbremsassistenten auseinanderzusetzen.
„Lediglich etwa sechs Prozent der älteren Bevölkerungsgruppe kompensiert nicht zweckmäßig, ihr Fahrverhalten ist also nicht ausreichend vorhandenen Defiziten angepasst. Dieser Effekt ist mehr bei Männern zu beobachten, die im Vergleich zu Frauen weniger selbstkritisch mit ihrer Leistungsfähigkeit umzugehen scheinen“, so Seidenberger.„Viele ältere Personen fahren als Kraftfahrzeuglenker besonnen, haben kaum Vergehen hinsichtlich des Alkoholmissbrauchs oder Schnellfahrens, meiden Nachtfahrten, sehr stressende Fahrzeiten, bestimmte Fahrtstrecken überhaupt und teilen sich längere Routen in mehrere Fahretappen mit Erholungspausen ein.“
Klarheit schaffen
Der Grundsatz „keep it simple“ ist nie verkehrt: Infrastruktur muss für jeden Nutzer klar und leicht verständlich sein, ebenso die Bedienung eines Fahrzeuges samt seiner gesamten Sicherheitsausstattung. „Ein kritischer Umgang mit der eigenen Leistungsfähigkeit, möglicherweise auch mit der Einholung eines Ratschlages und Hinweise von Angehörigen, aber auch von Freunden, von Fahrprofis, auch des Hausarztes, ist somit der beste Schutz für eine sichere individuelle Mobilität, egal welchen Alters“, so Seidenberger.
Abgesehen von individuellen Voraussetzungen braucht es aber vor allem auch die verstärkte Berücksichtigung älterer Menschen in der Verkehrsplanung. Dass letztere zudem dringend auf Klimakurs gebracht werden muss, ist eine der großen Herausforderungen. „Lange Zeit wurde die Verkehrsplanung nach dem Lebensentwurf eines Mannes ausgerichtet, der mit dem Auto in die Arbeit fährt“, konstatiert Ulla Rasmussen, Geschäftsführerin des Verkehrsclub Österreich (VCÖ). Auf Radfahrende und Gehende wurde wenig Rücksicht genommen – abseits des Autofahrens und abseits davon, pro Tag nur den einen Weg zur Arbeit zu haben, bestehen jedoch viele Mobilitätsbedürfnisse. Es braucht ein Mobilitätssystem, so der VCÖ, das es ermöglicht, selbstständig, gefahrlos und aktiv unterwegs zu sein – und ein Verkehrssystem, das durch so wenig Barrieren wie nur möglich so viele Menschen wie möglich so oft wie möglich nutzen können.
Viele Lebensstile
Gerade die Gruppe der Älteren wird künftig noch weit heterogener werden – mit sehr unterschiedlichen Lebensstilen und Mobilitätsbedürfnissen. Ältere Menschen werden deutlich mobiler sein als Gleichaltrige bisher. Schon heute sind viele ältere Menschen mit neuen technologischen Entwicklungen vertraut, in Zukunft werden es noch mehr sein. Neue Technologien erleichtern das Planen von Wegen und die flexible Kombination von öffentlichem Verkehr, (E-)Fahrrad, Gehen und Carsharing. Gleichzeitig wird es aber immer auch Menschen geben, die nicht technologieaffin sind.
„Das Mobilitätssystem ist unter anderem durch Barrierefreiheit und geringere Geschwindigkeiten an die Bedürfnisse älterer Menschen anzupassen. Durchgängige Fuß- und Radwegnetze sind wesentlich für den Erhalt der Mobilität älterer Menschen“, heißt es in der VCÖ-Publikation „Gesellschaftliche Entwicklungen verändern die Mobilität“. Menschen, die aufgrund von Routinen an ein einziges Verkehrsmittel gewöhnt sind, sind besonders gefährdet, immobil zu werden, wenn sie dieses nicht mehr nutzen können. Rund 20 Prozent der Menschen ab 60 Jahren haben kein Auto im Haushalt, nur die Hälfte hat Mitfahrgelegenheiten für Besorgungen.
Folgen fehlender Mobilität
Bei den Motiven für das Mobilitätsverhalten ist es älteren Menschen weniger wichtig, Zeit einzusparen oder schnell einen Parkplatz zu finden. Vielmehr geht es häufig darum, bequem voranzukommen, Bewegung zu haben, sicher unterwegs zu sein und mit anderen Menschen zusammen zu sein. Fehlende Mobilität von Senioren hat nicht nur eine einschneidende Bedeutung für jeden Einzelnen, sie hat auch Folgen für die Wirtschaft, weil ältere Menschen für den Einzelhandel als Kunden und für den Tourismus als Gäste ausfallen, wenn sie sich ins Häusliche zurückziehen. Und sie hat Folgen für eine Gesellschaft, die den nicht mobilen Senioren die Teilhabe am öffentlichen Leben erschwert, weil Lebenserfahrung und ehrenamtliches Engagement verloren gehen.