Bis 4. März 2018 gewährt eine Ausstellung im Unteren Belvederei n Wien ungewohnte Blicke in die „Kraft des Alters“.
Im scharfen Kontrast dazu steht, dass die Lebenserwartung heute zwar viel größer ist als vor einigen Jahrzehnten, gleichzeitig die Schwelle des Alters in vielen gesellschaftlichen Bereichen aber immer früher angesetzt wird. Viele Objekte prangern wie der Katalog der Ausstellung das augenscheinliche Ungleichgewicht an, dass Frauen früher als alt wahrgenommen werden als Männer. Dem Betrachter wird bewusst, dass alternde Frauen in unserer öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr präsent sind, während Künstler noch vor wenigen Jahrzehnten kein Problem damit hatten, ihre Mütter und Großmütter ohne solche Distanz zu zeigen. Oskar Kokoschka malte 1917 liebevoll seine Mutter, Lovis Corinth porträtierte zur gleichen Zeit mit Hochachtung Frau Marie Moll.
Lobenswert sind Ordnung und Gliederung der Ausstellung, die noch bis 4. März läuft. Das Team des Schlosses Belvedere hat bei der Schriftgröße der Objektbeschreibungen auch an die Sehkraft der Besucher gedacht. Das ist, wie viele Museums- und Ausstellungsbesucher wissen, keine Selbstverständlichkeit. Ein großes Plus ist, dass der Ort der Ausstellung geeignet ist, den Kulturgenuss, welchen „Die Kraft des Alters“ vermittelt, um einen Spaziergang im Park des Schlosses Belvedere zu erweitern.
Im Katalog erzählt die Foto- und Performancekünstlerin Martha Wilson, dass sie nun, mit 70 Jahren, als alte Dame ihren Körper viel mehr akzeptiere als früher. Damals hatte sie versucht, den Schönheitsnormen durch Diäten und den Einsatz von Make-up zu entsprechen. Deshalb weigert sich die Künstlerin, die Spuren zu löschen, welche das Leben in ihren Körper geschrieben hat. Vielmehr macht sie mit ihren ausgestellten Werken diese Male mit viel Ironie und Humor sichtbar. Nicht ohne Augenzwinkern hat auch Annie Leibovitz den inzwischen 70 Jahre alten Iggy Pop, die US-Legende des Punkrock, abgebildet. Dessen nackter Oberkörper ist zwar schlank wie der eines 20-Jährigen, die Haut trägt aber die harten Spuren der Jahrzehnte auf der Rockerbühne.
Mit überraschenden und erheiternden Zugängen setzt sich die Ausstellung kritisch mit der Obsession weiter Teile der Gesellschaft auseinander, dass Jugend – oder wenigstens Jugendlichkeit – machbar und produzierbar ist. Der Folder der Schau macht das mit einem Hinweis deutlich. Es beschreibt den natürlichen Alterungsprozess als etwas Pathologisches, das mit Methoden des Anti-Aging somit prinzipiell heilbar ist und therapiert werden kann und muss. Der Zeit, als Frauen im Leben und in der Kunst noch nicht zu solchen Sklavinnen des Jugendkults degradiert waren wie heute, stellt Evelin Stermitz eine Videoperformance gegenüber, die sich am Terror der Nachtcremes, Anti-Falten-Cremes und Schönheitsoperationen reibt. Schonungslose Fröhlichkeit strahlt das Ölgemälde Aleah Chapins aus, das nackte Frauen mit grauem Haar und welken Körpern beim hemmungslosen Herumtollen auf einer Wiese zeigt. Gelassen gehen die Fotografin Annie Leibovitz und ihr Modell Vivienne Westwood mit der lasziven Nacktheit der damals 70-jährigen Modemacherin um.
Mit der interessanten und komplexen Auseinandersetzung ist es der Kuratorin Sabine Fellner und dem Team des Unteren Belvedere sogar gelungen, die Medien zu beeinflussen. Während Journalisten das Thema Alter meist in den Ressorts Gesundheit oder Chronik unterbringen, wird die Wiener Schau „Die Kraft des Alters“ im Feuilleton und auf den Kulturseiten gelobt. Angesichts der Überzeugungskraft der Medien kann das ein Meilenstein auf dem Weg sein, die Thematik nicht an den Rand zu drängen, sondern aktiv und natürlich in die Gesellschaft zu integrieren. Die Ausstellung zeigt alternde Menschen nicht in einer gleichsam defizitären Lebensphase, sondern definiert diesen Lebensabschnitt als eine neue Freiheit, die sich an keine Regeln hält. Es wird wohl auch ein Rolle gespielt haben, dass relativ viele Werke von Künstlerinnen zu sehen sind, während im allgemeinen Kunstbetrieb das Oeuvre der männlichen Kunstschaffenden stark dominiert. Auch das belegt, dass Frauen sich in unserer Gesellschaft – freiwillig oder nicht – stärker mit dem Altern auseinandersetzen müssen als Männer.
Joyce Tenneson
Christine Lee, 2002
Gustav Klimt
Alter Mann auf dem Totenbett, 1899
Oskar Kokoschka
Der Maler Carl Moll, 1913
Maria Lassnig
Schmetterling, 1975
Foto: © Joyce Tenneson, © Maria Lassnig Stiftung, © Fondation Oskar Kokoschka, © Belvedere, Wien
Beitrag veröffentlicht am 31. Jänner 2018.