Gottfried R. will sterben, um sein Leid und die Schmerzen hinter sich zu lassen. Der legale assistierte Suizid öffnet neue Wege, die nicht allen behagen.
Zum Glück gibt es nun auch in Österreich diese Möglichkeit“, zeigt sich der Mürzzuschlager Gottfried R. erleichtert über das neue Gesetz, das seit Jahresbeginn den „assistierten Suizid“ straffrei stellt. Und er hat sich bereits ganz intensiv damit beschäftigt und bereitet alles für eine Sterbeverfügung vor. „Ich stoße aber immer wieder auf Hürden. Man weiß nicht wirklich, wo man Informationen bekommt und Zuständige findet – ich telefoniere da die ganze Zeit herum. Obwohl das Gesetz da ist, sind keine Ärzte dafür zu finden. Mittlerweile habe ich allerdings eine Medizinerin. Einen Notar suche ich nach wie vor.“
Was sein Ende angeht, hat der 88-jährige ganz klare Vorstellungen – sogar die Tageszeit ist bereits festgelegt: „Es soll möglichst in der Früh sein. Gut essen möchte ich davor noch – mit meiner Familie. Mit ihr habe ich bereits alles geklärt,“ schildert Gottfried R. ganz nüchtern sein Vorhaben und erzählt, was ihn zu dieser Entscheidung geführt hat:
„Ich bin 88 und habe eine Reihe von gesundheitlichen Problemen. Vor allem in den letzten vier Jahren ist da einiges zusammengekommen. Eine folgenschwere Eppstein Bar-Erkrankung, eine Darmoperation, Probleme rund um den Harntrakt und Anderes. Ich verbringe immer mehr Zeit im Bett, kann gerade einmal 200 Meter gehen. Zurzeit geht nicht einmal das. Die Schmerzen werden mehr: im Rückgrat, im Urintrakt. Solange ich kann, möchte ich daher alles rund um mein Sterben selbst regeln. Ich war zeitlebens ein selbstbestimmter Mensch; daher will ich auch mein Ende nicht in die Hände anderer Menschen legen. Der Gedanke, nur noch auf Andere angewiesen
zu sein, ist für mich unerträglich.“
Doch dann setzt der selbstbestimmte Pensionist mit kräftiger Stimme nach: „Noch lebe ich! Und ich lebe gerne! Ich hätte mir früher nicht vorstellen können, dass ich unter diesen Umständen überhaupt Freude am Leben haben kann. Es wundert mich selbst, dass das jetzt so ist. Aber es ist so.“ Dennoch: „Mein Körper wird merklich schwächer, es kommen verstärkt Schmerzen. Schauen wir einmal, wie lange ich das mitmache. Für den Zeitpunkt, an dem ich nicht mehr möchte, stelle ich aber das Gift bereit.“
„Welche Ethik steckt dahinter?“
Wenn andere das als unmenschlich bezeichnen oder davon abraten, wird Gottfried R. emotional: „Was ist daran so unmenschlich? Ich bekomme regelrecht Aggressionen, wenn Leute das Sterben mit aller Gewalt verhindern wollen, andere förmlich zum Leben zwingen. Was haben diese Leute davon? Welche Ethik steckt dahinter, einen todkranken Körper am Leben halten zu wollen und zu sagen, dass jede dieser schmerzvollen Minuten wertvoll sei? Wer bestimmt, was Lebensqualität ist? Das ist doch für jeden Menschen anders! Ich möchte sagen können: JETZT will ich sterben!“
Wer bereit wie Gottfried R. sein will, um sein Leben aus eigenem Willen zu beenden und dabei Hilfe in Anspruch zu nehmen, hat dazu in Österreich seit Anfang 2022 die legale Möglichkeit. Der Nationalrat hat dafür die Voraussetzungen geschaffen und folgt einem Weg, den schon einige andere Staaten eingeschlagen haben. Recherchen von Abenteuer Alter zeigen, dass durchaus viele Menschen wie Gottfried R. an dieser Möglichkeit interessiert sind. Michaela Wlattnig, die steirische Patienten- und Pflegeanwältin, beobachtet die Dinge seit Jahresbeginn gewissermaßen amtlich. Die Menschen berichten von ihren Leiden und wollen vorbereitet und informiert sein, für den Fall, „dass es ihnen schlechter geht“. Der überwiegende Teil von ihnen hat (noch) keine konkreten Absichten. Wie Gottfried R. stoßen die Betroffenen aber auf Hürden. Laut Wlattnig fragen Menschen in der Patienten- und Pflegeanwaltschaft, welche Ärzte die vorgeschriebenen Beratungen machen, und ihre MitarbeiterInnen können ihnen manchmal nicht die gewünschte Antwort geben. Die Ärzteschaft scheint in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend zu sein.
Die Suche nach dem geeignetem Arzt
Für Herwig Lindner, Präsident der Ärztekammer Steiermark, steht im Vordergrund, dass die Beteiligung für Ärztinnen und Ärzte freiwillig ist: „Vergessen wir nicht: Menschen ergreifen diesen Beruf, um Leben zu bewahren, nicht um es zu beenden.“ Angesprochen auf Probleme bei der Ärztesuche empfiehlt Lindner, dass der erste Kontakt immer die Hausärztin oder der Hausarzt sein sollte. Weitere MedizinerInnen mit palliativmedizinischer Spezialisierung seien über die Ärztesuche auf der Website der Ärztekammer Steiermark zu finden. Immerhin bereitet die Kammer eine fundierte Fortbildungsveranstaltung vor. Michaela Wlattnig kann die Haltung der Ärzte gut verstehen, gibt aber die Lage der Patienten zu bedenken, die wie Gottfried R. ihren Sterbewunsch nach reiflicher Überlegung verfolgen. Es sei in dieser Situation kaum zumutbar, sich auf die Suche nach einem Mediziner machen zu müssen. Dann könne es passieren, dass „irgendein Arzt irgendeine Aufklärung gibt“, was doch niemand wolle.
Die verpflichtende Beratung von Sterbewilligen durch zwei Ärzte ist der Kernpunkt der heiklen Materie. Karin Kupferschmid, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Grazer Anwaltskanzlei Piaty, Müller-Mezzin, Schoeller, verweist auf zwei entscheidende Kriterien. Die Mediziner müssen unabhängig voneinander bestätigen, dass eine Person sterbenskrank und sehr schwer leidend ist, und dass sie ihren Entschluss vollkommen freiwillig und selbstbestimmt gefasst hat. Haben die Mediziner den Eindruck, dass der Einfluss Dritter eine große Rolle spielt, müssen sie besonders vorsichtig sein.
Ein Bürokratiemonster
Ein wichtiger Bestandteil des Gesetzes ist die umfassende Dokumentation aller Vorgänge im neuen Sterbeverfügungsregister des Gesundheitsministeriums. Das gilt nicht nur für die Beratungen der Ärzte, sondern auch für die verpflichtenden Auskünfte der Notariate und Patientenvertretungen im Zusammenhang mit der Errichtung der Sterbeverfügung, für die Apotheken und letztlich für die Leichenbeschauer. Kritiker werden im Zusammenhang mit den Dokumentationen so vieler beteiligter Stellen von einem Bürokratiemonster sprechen. Allerdings geht es hier um Leben und Tod.
Als vorerst einziges Mittel für die legale Selbsttötung ist Natrium-Pentobarbital zugelassen. Nur Apotheken sind berechtigt, es auszufolgen. Allerdings wird es für manche Menschen auch hier eine Hürde geben, gibt Alexandra Mandl zu bedenken, die Vizepräsidentin der steirischen Apothekerkammer. Wird eine langjährige Kundschaft einer Apotheke bereit sein, dieses Präparat mit seiner besonderen Wirkung in jenem Betrieb zu beziehen, dessen Personal sie so lange kennt?
Ist das Präparat im Hause, sind alle Voraussetzungen für die legale assistierte Selbsttötung gegeben. Den letzten Schritt muss die betreffende Person auf jeden Fall selbst gehen, nämlich das Mittel einzunehmen. Das kann in Tablettenform geschehen oder mit etwas Wasser verdünnt als Schlucklösung sowie zur intravenösen Injektion. Die Dosis bestimmt einer der beratenden Ärzte. Keiner von diesen darf übrigens die vom Gesetz definierte Assistenz zur Selbsttötung leisten.
Diese Hilfestellung etwa durch eine oder einen Angehörigen darf nur so weit gehen, dass diese Person dem Sterbewilligen das Mittel passiv reicht. Den Löffel zum Mund zu führen oder die Injektion in Gang zu setzen wäre ungesetzliche Sterbehilfe. Rechtsexpertin Karin Kupferschmid beschreibt die Absicht des Gesetzgebers trocken: „Menschen, die nicht in der Lage sind, sich selbst zu töten, können in ihrem Wunsch nicht unterstützt werden, ihr Leben zu beenden.“
Abenteuer Alter behandelt das Thema nicht aus Sensationsgier so ausführlich, sondern im Wissen um das große und ernste Interesse in seiner Zielgruppe. Deshalb machen wir an dieser Stelle den Versuch, Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um die neue legale assistierte Sterbehilfe zu geben. Die vielleicht wichtigste Frage aus unserer Sicht ist die nach den Alternativen. Menschen, die großes körperliches Leid erdulden müssen und deren Krankheit unweigerlich zum Tod führt, können dieses schwere Schicksal auch ohne Selbsttötung in Würde tragen.
Anders als Gottfried R. es sieht, gehen auch sie einen selbstbestimmten Weg, wenn sie die Hilfe von Ärzten, Gesundheitsspezialisten, Angehörigen und Seelsorgern im Zusammenspiel mit der modernen Palliativmedizin und der Hospizversorgung annehmen.
Weil das Thema Sterbehilfe ein so großes ist, haben wir die 25 wichtigsten Fragen dazu zusammengetragen und sie beantwortet: https://www.abenteueralter.at/ethik-selbstbestimmung/25-fragen-und-antworten-zur-sterbehilfe/