Die Kraft des guten Essens

Martin Auer hat es geschafft, Brot neu in Szene zu setzen. Ein Gespräch über das älteste Nahrungsmittel der Welt, gute Handwerkskunst und warum es mehr Ethik im Lebensmittelbereich braucht.

 

Herr Auer, wie essen Sie Brot am liebsten?

Martin Auer: Ich esse Brot zu den meisten Speisen, außer zu Sushi. Auf die Idee wäre ich noch nicht gekommen. Super schmeckt unser bio Burgenländer mit Frischkäse und Dijon-Senf. Ein paar Tage altes bio Franciscus schmeckt super, wenn man es in den Toaster gibt. 

Ein gutes Brot braucht Zeit, um zu werden. Das kostet Geld. Im Supermarkt gibt’s Brot billiger.

Ich habe viel Zeit aufgebracht, um nachzudenken, was ein Bäcker heute der Welt da draußen zu geben hat. Wenn es um das Sattmachen geht,  braucht es uns nicht mehr. Das ist auch der Grund, warum in den letzten 35 bis 40 Jahren zwei Drittel der österreichischen Bäckereien geschlossen haben: Sie konnten den Kunden nicht bieten, was die nicht auch beim Diskonter oder Lebensmittelhändler bekamen. Für mich stellte sich schon die Frage: Warum sollen da nicht gerade wir das Unternehmen sein, das überlebt? Wir hätten es machen können wie andere: ein neues Unternehmensleitbild etwa. Das war uns zu wenig. So ist der Wunsch entstanden, dem Brot die Seele zurückzugeben.

Sie haben es geschafft, Brot gut zu inszenieren.

Aber es ist nicht das Brot alleine! Das sind meine Kollegen im Service, das ist die Energie, die man in der Marke, im Shop, in der Präsentation, in der Beleuchtung und so weiter findet. Das alles ist aber wertlos, wenn man den Beweis im Produkt nicht antritt. Und das versuchen wir jeden Tag aufs Neue umzusetzen. 

Erkennen Ihre Kundinnen und Kunden den Unterschied zwischen einem Brot, dessen Teig 48 Stunden geführt wurde, und einem Backling aus Litauen?

Unsere Welt ist nicht logisch, sondern psychologisch. Ein Produkt, dem man so viel Liebe und Aufmerksamkeit schenkt, dem man so viel Authentizität beimengt in allem, was man tut, wird letztlich besser sein. Das betrifft auch die Art des Arbeitens. Wenn unsere Reinigungskräfte am Abend die Backstube ordentlich und sauber machen, wird das Team, das in der Früh mit der Arbeit beginnt, mit einer anderen Haltung daran gehen. Überlegen Sie, wie viel Geld Menschen für bestimmte Marken ausgeben, weil die als so toll und begehrenswert dargestellt werden. Und im Gegenzug soll das älteste Lebensmittel der Welt nichts wert sein? 

 

Ein Profi im Backgeschäft: Martin Auer

 

Wann hat die Gesellschaft damit begonnen, statt sich gut zu ernähren irgendwie den Tagesbedarf an Kalorien zu decken? 

Brot war immer primär Nahrungsmittel. Der Generation meines Großvaters hat man geraten, Bäcker zu werden, weil die dafür sorgen, dass immer etwas zu essen da ist. Das Problem ist mit der zunehmenden Industrialisierung gekommen, vor allem mit dem Aufkommen der Backhilfsmittelindustrie. Die hat erkannt, wie man Bäckern durch chemische Zusätze den Alltag erleichtern kann. Sauerteig war ja ursprünglich nur das Ermöglichen des Backens von Roggen, ohne Sauerteig wird das Brot ein fester Klumpen. Mit dem Kunstsauerteig musste der Bäcker nicht 24 Stunden am Tag arbeiten, dieser Teig wurde beigemengt und das war’s dann. Dann stiegen die Energiepreise und die Bäcker sind draufgekommen, dass sie mit den chemischen Zusätzen Brot nicht mehr so lange backen brauchen. Das ist so weit gekommen, dass viele Menschen nur das helle Gebäck aus dem Supermarkt wollen. Der Lockdown im Frühjahr hat hier für einen schönen Nebeneffekt gesorgt, nämlich dass die Menschen wieder mehr gebacken haben. 

Beim Brot hat man mittlerweile akzeptiert, dass es seinen Preis hat. Beim Schweinefleisch geht das noch immer nicht. Warum?

Das ist eine Katastrophe! Wir haben bei unseren Produkten Bio eingesetzt, will wir merkten, dass es einen kleinen Unterschied macht, wir setzen auf Nachhaltigkeit, indem wir, so gut es geht, auf Plastik verzichten. Zwischen einem Bio- und einem konventionellen Produkt ist geschmacklich keine Welt dazwischen, aber uns gefällt die Idee und es ist das bessere Produkt. Bei Fleisch oder tierischen Produkten gibt es wichtigeren Aufholbedarf als bei Obst, Gemüse oder Getreide. Weil da geht es um einen großen Ethik-Aspekt. 

Kann man das den Konsumentinnen und Konsumenten nicht erklären? Sie haben es beim Brot ja auch geschafft. 

So etwas bedarf einer strengen und klaren Vorgehensweise. Viele Unternehmen sind Familienbetriebe, in denen viele Meinungen vorhanden sind. Da ist es oft schwierig, klare Wege einzuschlagen. Große Unternehmen schulden ihren Eigentümern Ergebnisse, meist finanzieller Natur. Und wenn der Marketingchef eines Konzerns die Devise „3+1 gratis“ ausgibt, wird das umgesetzt und die Kunden werden mehr kaufen und das Zuviel letztlich wegwerfen. Dieses Rabattitis führt laut Arbeiterkammer dazu, dass Menschen mehr Geld ausgeben als ohne Aktionen. Wie viel „mehr Bio“ könnten wir uns leisten, wenn wir sorgsam mit den Lebensmitteln umgehen würden! 

Stimmt es, dass Brot, das länger gehen kann, besser verträglich ist?

Ich bin da vorsichtig, diese Expertise darf ich mir nicht zuschreiben. Aber es ist wissenschaftlich erwiesen, dass eine längere Gärentwicklung zum Abbau von Stoffen führt, die wir nicht gut vertragen. Das hören wir immer wieder, etwa über unseren bio Franciscus, ein reines Weizenbrot, das 48 Stunden lang geht, und deshalb scheinbar besser verträglich ist. Das hat übrigens auch Auswirkungen auf die Geschmacksentwicklung, die Konsistenz und etwa auf die Krume. 

Wie viele Laib und Wecken Brot backen Sie pro Tag?

Vier- bis fünftausend, die in unsere 30 Filialen kommen. 

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Mal sehen, was sich ergibt. Wachstum in erster Linie qualitativ, größenmäßig zu wachsen geht ohne qualitatives Wachstum nicht. Manche Produkte sind noch nicht so optimal, einfach weil die Produktionsbedingungen in der jetzigen Bäckerei das nicht hergeben, unser Croissant zum Beispiel. Das wird in unserem neuen Atelier auch das einzige Produkt sein, für das wir Mehl aus Frankreich kaufen. 

Wird das dann ein Croissant à la Paris oder à la Martin Auer?

Weder noch! Ich kenne noch kein gutes Croissant, wie wir es haben werden (lacht)! Man braucht schon Inputs, aber die letzten Details wollen wir selbst machen. Beim bio Franciscus habe ich ganz lange herumgetüftelt, habe den Sauerteig sogar mit in den Urlaub genommen, um ihn weiterzüchten zu können, bis er auf der Hotelcouch übergegangen ist …

 

Die Geschichte von Martin AUER

Martin Auer hat mit seiner Frau das Unternehmen seines Vaters übernommen, der wiederum schon mit 20 Jahren in die Fußstapfen seines Vaters trat, der plötzlich verstorben war. Eigentlich war der Vater Bauingenieur, hat aber am Unternehmertum gefallen gefunden und wurde Bäcker. Sohn Martin studiert zunächst BWL, bereiste die Welt, gründete Bäckereien in Serbien, machte den Abschluss zum Bäckermeister und kaufte dem Vater das Familienunternehmen 2011 gemeinsam mit seiner Frau Barbara ab. Die Bäckerei ist noch am Grazer Dietrichsteinplatz untergebracht, im kommenden Jahr soll das neue Firmengebäude in St. Peter mit voll einsehbarer Backstube eröffnet werden.

 

Daniela Müller
Beitrag veröffentlicht am 26. Oktober 2020
Bildquelle: Luef Light