Aleš Svoboda, Sexualtherapeut und Sexualberater bei „Sexmed“ im Interview
Was ist Sex?
SVOBODA: Ein sehr dehnbarer Begriff! Aber auf alle Fälle mehr, als die meisten Menschen glauben! Ohne Sexualität gibt es kein Leben. Sie kann zur schönsten Sache der Welt werden – und sie hat eine unendlich breite Spielwiese, die weit über den Geschlechtsverkehr hinausgeht. Das reicht von erotischen Blicken über Kuscheln bis zu Streicheleinheiten und bloßem Hautkontakt.
Wie wichtig ist Sex (im Alter)?
SVOBODA: Gewollter, einvernehmlicher Sex ist eine lebenserhaltende, lebensstärkende und lebensverlängernde Quelle. Sex ist erwiesenermaßen Gesundheitsvorsorge – auf körperlicher wie psychischer Ebene. Regelmäßiger Sex ist Gesundheitsprophylaxe. Das gilt für Menschen in höherem Alter ganz genauso. Im Alter werden Intimität und Sexualität sogar noch wichtiger und vielfach auch qualitätsvoller. Statistisch gesehen haben Paare zwischen 60 und 80 Jahren übrigens deutlich öfter Sex als jüngere.
Warum ist die Kombination Sex und Alter dennoch so stark tabuisiert?
SVOBODA: Dass die Gesellschaft oftmals ein Problem damit hat, Sex im Alter zu akzeptieren und respektieren, hängt vermutlich stark mit dem reproduktionsfähigen Alter zusammen. Das heißt, mit der Fähigkeit, Kinder zu kriegen. Kurz gesagt: Wenn die Natur das Kinderkriegen nicht ermöglicht, hat Sex nicht mehr zu sein. Deshalb sind wir Menschen vermutlich auch darauf programmiert, Körper im reproduktionsfähigen Alter attraktiv und Sexualität als ,normal‘ zu finden. Darüber hinaus tun wir uns schwer. Sehr wohl besteht körperliche Anziehungskraft jedoch innerhalb der nicht-reproduktionsfähigen Altersgruppe.
Wie steht es dann im nicht-reproduktionsfähigen Alter um die sexuelle Lust?
SVOBODA: Bestens! Der Mensch ist ein sexuelles Wesen. Sex ist bis zum Ende des Lebens ein Thema – und auch möglich. Wenn es die körperlichen Gegebenheiten zulassen. Aber auch hier kann die (Sexual-)Medizin gut helfen. Im Alter erfahren viele Menschen die Sexualität sogar ganz neu und ganz aufregend. Die Sexualität bekommt im Alter oftmals eine ganz spezielle und hohe Qualität.
Woran liegt das?
SVOBODA: Häufig daran, dass Stress und Leistungsdruck wegfallen. Die oft jahrelange Harmonie von Paaren, die einkehrende Ruhe sind Basis für neue erotische und sexuelle Erfahrungen. Aber ebenso die Tugend, die aus der Not kommt. Wenn gewisse körperliche Funktionen, die mit dem Alter naturgemäß nicht mehr so reibungslos laufen, nachlassen, werden vermehrt Alternativen zum Thema. Das kann das Sexualleben enorm beflügeln und zu höchst zufriedenstellenden, neuen sexuellen Erfahrungen führen. Wir dürfen nicht vergessen: Unser mächtigstes Sexualorgan ist schließlich der Kopf – das ausgedehnteste die Haut. Wir sind nur mehrheitlich auf die Genitalität fixiert.
Wie kann Sexualität in einem Seniorenheim erfüllend gelebt werden?
SVOBODA: Das hängt ganz von der individuellen Situation und der Aufgeschlossenheit der Einrichtung zusammen. Erwiesen ist jedenfalls, dass es gerade die sexuelle Funktion des Menschen ist, die ganz besonders langsam altert. Das sollte auf alle Fälle berücksichtigt werden. Keinesfalls sollten die Bewohner mit ihrem Bedürfnis nach Intimität und Sexualität alleine gelassen werden. Da braucht es sensible und professionelle Unterstützung. Insofern ist der aktive, offene Umgang mit der Thematik der erste wichtige Schritt.
Wie gut gerüstet sind Pflegeeinrichtungen diesbezüglich?
SVOBODA: Meiner Erfahrung nach wünschen sich Menschen im Alter – speziell auch in Pflegeeinrichtungen – viel mehr Intimität als gegeben ist. Da besteht eine große Diskrepanz zwischen dem Wunsch und der Wirklichkeit. Insofern sehe ich da viel Aufholbedarf, sowohl was die Offenheit für das Thema als auch die konkreten Angebote angeht. Schließich haben die Menschen ein Recht auf Sexualität.
Was wäre in Sachen Sex im Alter ihr vordringlichster Wunsch?
SVOBODA: Dass die Gesellschaft diesbezüglich endlich erwachsen wird. Sexualität ist nun einmal nicht der Jugend vorbehalten; sie ist bis zum Ende des Lebens ein Thema. Ganz abgesehen von den eindeutig positiven Auswirkungen auf die körperliche und seelische Gesundheit. Es wäre also wünschenswert, dass das auch erkennt und respektiert wird.